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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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verstörend, sondern ein Tribut an Bellinos Wirklichkeit. Wenn die Damen ihr feurige Blicke zuwarfen, von Sehnsucht nach dem Unerreichbaren getrieben, zahlte sich das, unter glücklichen Umständen, manchmal auch in einem weiteren Engagement aus. Am Vortag hatte sie noch mit einer Contessa aus Pesaro getanzt, die versprochen hatte, sie nach dem Osterfest für ein paar Konzerte zu sich einzuladen. Diese Contessa gehörte nach ihren gestrigen Aussagen auch zu denen, die früh genug aufstanden, um sich ein Aschekreuz auf die Stirn zeichnen zu lassen und Bellino dazu singen zu hören.
    »Wenn die dich in ihr Bett einlädt«, sagte Petronio, als die Contessa sich aus einer vorbeifahrenden Kutsche hinauslehnte und Bellino eine Kusshand zuwarf, »dann meint sie bestimmt uns beide.«
    »Nein, das tut sie nicht, außerdem ist sie gerade jetzt gewiss nicht müde.«
    »Wer nur ins Bett geht, weil er müde ist, verdient keines, sagt Mutter, und die muss es wissen.«
    »Ich muss nicht ihre reichhaltige Erfahrung teilen!«
    »Du könntest es wenigstens einmal probieren, bei dieser Contessa. Schau, wir wissen doch beide, dass es Dinge gibt, die ich tun kann und die du nicht tun kannst, weder für Damen noch für Herren … als Kastrat. Da ist dir so eine Dame bestimmt dankbar, wenn du jemanden mitbringst, der …«
    »Weißt du, was eine Dame, die einem Kastraten schöne Augen macht, ganz bestimmt nicht will?«, fragte Bellino scharf. »Kinder. Und die könnte sie von dir kriegen, wenn du das für sie tust, worauf du so stolz bist.«
    »Worauf ich mit Recht stolz bin, du Spielverderber«, sagte Petronio und stieß sie mit dem Ellbogen in die Rippen, aber er schmollte nicht. Überhaupt war er nie nachtragend, wenn er in einer Stichelei den Kürzeren zog, was einer der Gründe war, warum sie ihn sehr gernhatte. Sie hatte es aufgegeben, zu hoffen, dass er aufhörte, seinen Körper zu verkaufen, aber wenigstens verdiente er dieser Tage auch etwas Geld mit dem Tanzen. Selbst Marina hatte damit angefangen, die wichtigsten Schritte zu lernen. Cecilia dagegen übte Laute und Flöte zu spielen und machte auch auf dem Spinett erste Fortschritte. Abgesehen von allem anderen gab das ihr das Gefühl, dass alle Geschwister Lanti es schaffen könnten, als Künstler zu überleben, statt irgendwo in einer Gasse mit hochgeschlagenem Rock zu stehen, weil sie sich nicht anders zu ernähren wussten.
    Sie hing an ihnen allen. Nach Appianinos Tod hatte sie geglaubt, gar nichts mehr zu empfinden, aber wie sich herausstellte, hatten Melani und Mama Lanti in einem recht behalten: Die Zeit machte einen Unterschied, und es gab mehr als eine Weise, zu lieben. Manchmal wachte sie immer noch auf, fragte sich in der Benommenheit des Halbschlafs, ob wohl heute der Brief einträfe, mit dem Appianino sie zu sich riefe, und fühlte die Trauer wie Steine ihr Herz beschweren, wenn ihr wieder einfiel, dass er tot war. Manchmal hörte sie ein Lied, dachte »ich wünschte, ich hätte es mit Appianino teilen können«, und ihre Augen brannten von den ungeweinten Tränen. Doch inzwischen konnte es genauso geschehen, dass sie sich an einen geteilten Scherz erinnerte und lächelte oder dass Tage, Wochen gar vergingen, in denen ihr Leben zu sehr einem Wirbelwind glich, um an ihn zu denken, was sie früher für unmöglich gehalten hatte.
    Sie hatte sich jedoch nie wieder verliebt. Wie auch? Hin und wieder hatte sie sich den Hof machen lassen und gelegentlich Blicke und mit Männern wie Frauen manchmal sogar Küsse ausgetauscht, doch nicht mehr. Das verlangte schon der gesunde Menschenverstand, denn mehr zu geben hieße, dem oder der Entsprechenden das Geheimnis anzuvertrauen, das sie um Bellinos Leben bringen konnte. So sehr vertraute sie niemandem, und schon gar nicht Theaterleuten oder gelangweilten Aristokraten, denen der Sinn nur nach ein wenig Zeitvertreib stand.
    Die Familie war etwas anderes. Sie trug dazu bei, dass man Bellinos Geschichte glaubte, wie Appianino prophezeit hatte, aber die Lantis waren auch Menschen, die sie brauchten, ohne mehr von ihr zu fordern, als sie geben wollte, und das war ein gutes Gefühl. Und sie hielten die Einsamkeit von ihr fern; ob sie sich nun mit ihnen freute und tanzte, oder Sorgen um die Zukunft machte, oder wütend auf sie war, Bellino war ein Teil von ihnen, und damit nicht allein.
    »Wenn du während der Messe einschläfst, werde ich hinterher nicht auf dich warten«, warnte sie Petronio, doch der lachte.
    »Wer schläft, sündigt

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