Verführung auf Burg Kells (German Edition)
dringenden Angelegenheit, sonst hätte ich die Privatsphäre einer Dame nicht gestört. Darf ich mit Lady Ebony sprechen?“
„Das ist der Titel meines Großvaters, nicht meiner“, antwortete der Knirps, stolz, einen Erwachsenen korrigieren zu können.
„Aus diesem Grund möchte ich mit ihr sprechen. Ist es gestattet?“
Biddie nahm Sam bei der Hand und zog ihn mit sich, bevor der Kleine es zu weit treiben konnte. „Komm, hier hinein mit dir“, sagte sie und zog ihn in die Ankleidekammer.
„Lord of Kells?“ murmelte Ebony und wandte sich dann an Sir Alex. „Ihr bringt schlechte Nachrichten?“ Sie stand neben dem Bett und steckte den Dolch, der ihre Bestürzung ausgelöst hatte, in den Gürtel. „Geht es um Sir Joseph?“ Dieser Unhold trug eine empörend selbstgefällige Miene zur Schau.
„Es tut mir Leid, Mylady. Er verstarb kurz nach Mitternacht.“
Ein weiterer Schock, auf den sie nicht gefasst gewesen war. Sie presste die Hand an ihren Busen, wo das rosafarbene Gewand noch nicht verschnürt war. „Letzte
Nacht?“
fragte sie tadelnd. „Und Ihr bringt mir erst jetzt die Schreckensbotschaft. Ist Euch nicht in den Sinn gekommen, dass Mistress Moffat meinen Beistand braucht?“
„Verzeiht. Ich wollte Euch nicht wecken.“ Sein Blick flog kurz zum Bett, bevor er sie wieder ansah.
Den tieferen Sinn seiner Worte konnte sie nicht leugnen. Und während des langen Schweigens, beladen mit unausgesprochenen Vorwürfen und Eingeständnissen, beschloss Ebony, dass sie ihm weder jetzt noch zu irgendeinem späteren Zeitpunkt die Genugtuung geben würde, einzugestehen, dass sie wusste, was auch er wusste. Hätten nicht andere, weitaus dringendere Angelegenheiten ihre Aufmerksamkeit erfordert, wäre sie möglicherweise dem Wunsch erlegen, seinen gebräunten Hals unter dem offenen Hemd und seine sehnigen Arme unter hochgekrempelten Ärmeln eingehender zu betrachten. Aber nein, es war gefahrloser zu leugnen, dass es je geschehen sein könnte. Alles andere hätte den ersten Schritt ins Verderben bedeutet.
„Ich war eingeschlossen!“ herrschte sie ihn an. „Ich hoffe nur, Mistress Moffat sieht mir diese unverzeihliche Nachlässigkeit nach. In Zukunft …“
„In Zukunft“, unterbrach er sie scharf, „wird eine andere Regelung getroffen, diese Frage stellt sich also gar nicht. Wenn Ihr nichts dagegen habt, begleite ich Euch nun nach unten zu Mistress Moffat. Später könnt Ihr auch Sir Joseph sehen. Er liegt in der Winterhalle aufgebahrt. Vielleicht ist es auch Euer Wunsch, dass Master Sam sich von seinem Großvater verabschiedet.“
Sie zog ihre fein geschwungenen Brauen hoch. „Moment. Welche andere Regelung? Ich gehe davon aus, dass Ihr heute noch aufbrecht.“
„Nach Sir Josephs plötzlichem Ableben haben wir beschlossen, noch eine Weile zu bleiben.“ Ihr ungläubiges Staunen veranlasste ihn zu einer weiteren Erklärung. „Andernfalls müsst Ihr und Eure Dienerschaft die Burg verlassen. Der König erließ ein Gesetz, wonach eine Burg keinen Tag ohne Verteidigung sein darf. Dieses Gesetz ist Euch und Mistress Moffat gewiss bekannt.“
Davon hatte sie noch nie gehört. Sir Joseph hatte sich wohl für unsterblich gehalten, da er dieses heikle Thema nie angeschnitten hatte. Sie mussten also die Burg verlassen oder damit einverstanden sein, dass diese Räuberbande sich hier breit machte? Etwas an der ganzen Sache stimmte nicht. Plünderer hielten sich nirgends lange auf, sie stahlen alles, was sie brauchen konnten, hinterließen Tod und Zerstörung und flohen in die Wälder, um alle Spuren zu verwischen.
„Nein!“ rief sie empört und warf einen bangen Blick zur Tür der Ankleidekammer, ehe sie ein wenig leiser fortfuhr: „Nein, Ihr könnt nicht bleiben!“ Ihre Ängste eilten ihren Gedanken voraus, bereiteten sie darauf vor, was passieren könnte, womit er ihr gedroht hatte. Letzte Nacht hatte er ihr bewiesen, wie leicht er es mit ihr haben würde. Aber hier auf Castle Kells den vollen Preis bezahlen zu müssen, würde bedeuten, dass sie Verrat an Meg beging, ebenso an Biddie und Sam; zudem forderte er damit mehr, als sie ihm angeboten hatte.
„Warum können wir nicht bleiben, Mylady?“ fragte er, ebenso gedämpft wie sie. „Befürchtet Ihr, man könnte uns akzeptieren, unsere Gegenwart könnte willkommen sein … vielleicht?“
„Ganz im Gegenteil. Ich fürchte, Sir, Ihr werdet feststellen, dass zwei scheinbar hilflose Frauen, die um das Wohl eines unschuldigen Kindes besorgt sind, zu
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