Verfuehrung auf Probe
Pavel-Taste und lasse es zehn Mal klingeln. Nichts. Küche. Wieder nichts. Alle ausgeflogen. Nur so aus Spaß versuche ich es mit Groß-X. „Leider bin ich zur Zeit nicht erreichbar. Bitte versuchen Sie es später. Merci.“ Ein AB-Spruch auf dem Haustelefon. Also bitte. Aber wahr. Erreichbar ist mein süßer, seltsamer Auftraggeber wirklich nicht. Ich knalle den Hörer auf die Gabel, gehe in die Küche, durchsuche die Schränke nach einem Eimer, finde eine große Rührschüssel, fülle sie bis zum Rand mit kaltem Wasser. Das wird ihn zu den Lebenden zurückholen.
Ich kann mir ein gemeines Grinsen nicht verkneifen, als ich mit der Schüssel vor dem wie tot schlafenden Eric stehe. Schwungvoll hole ich aus und schleudere ihm die komplette Ladung Wasser ins Gesicht.
„Was ist los?“, murmelt er. Bevor er wieder einschläft, knie ich neben ihm nieder, rüttele wie verrückt an seinen Schultern und ziehe an seinen glänzenden, festen Haaren. Ich kann alles mit ihm anstellen, alles was ich will. Ich könnte die Situation ausnutzen. Hier draußen, auf der Straße. Himmelherrgott. Der Kerl macht mich sogar im Schlaf verrückt. Als ich seine Lider mit meinen Fingern aufsperre, schluckt er und zeigt endlich so etwas wie ein Lebenszeichen, mit dem sich etwas anfangen lässt. „Wer sind Sie? Wo bin ich?“
Dann erhebt er sich, sieht an seinem Haus hoch und marschiert mit schlafwandlerischer Sicherheit durch die Tür.
„Halt“, rufe ich, doch da ist er drin, die Tür knallt ins Schloss. Er hat mich ausgesperrt. Boof. Und mein Schlüsseldings liegt auf der Kochinsel in der Küche. Ich klopfe an die Tür. Mein Klopfen wird zu einem Hämmern. Mein Zeigefinger bohrt sich in die Klingel. Tiefer und tiefer. Ist Eric taub? Was macht er da drinnen? Oh. Nein. Das darf alles nicht wahr sein. Bin ich denn hier im Irrenhaus? Und mein Ausgehtäschchen mit dem Telefon befindet sich ebenfalls in Erics Küche.
Ich bibbere vor Kälte. So viel wie in den letzten beiden Tagen habe ich in meinem ganzen Leben nicht gefroren. Erst meine Wohnung und jetzt das! Zwei Uhr morgens auf der Ile Saint-Louis. Ich könnte heulen.
Noch ein paar Mal versuche ich es mit Klingeln. Dann gebe ich es auf. Ich muss mich bewegen, bevor ich als Eisklumpen in der Seine lande.
Meine Zähne klappern so heftig aufeinander, dass ich befürchte, sie mir auszuschlagen. Ich renne so schnell auf meinen hochhackigen Sandaletten über den Quai, dass die schlafenden Anwohner glauben müssen, die Stadtwerke seien mit einem Presslufthammer angerückt. Sofern sie denn aufwachen. Aber hier pennt anscheinend jeder, als bereite er sich auf die ewigen Jagdgründe vor. Es ist aber auch kein Mensch auf den Straßen. Na ja, wen wundert das in dieser Gegend? Keinen Pariser.
Während ich an Notre Dame vorbeirase, denke ich tatsächlich darüber nach, ob ich nicht in der Kathedrale Zuflucht suche. So wie einst die Zigeunerin Esmeralda. Aber meiner Ansicht nach grinsen die Gargoyles ein wenig zu hämisch. Das macht mir mehr Angst, als mit der Metro schwarz zu fahren. Metro? Merde! Die fährt bloß bis viertel nach zwei. Das wird ja immer besser! Den Nachtbus kann ich auch vergessen. Der fährt drüben, auf der anderen Seite der Seine herum. Auf den Inseln lässt er sich nicht blicken.
Als ich in der Ferne ein Taxi sehe, aus dem ein Paar aussteigt, laufe ich mitten auf die Straße und renne armwedelnd auf den weißen Wagen zu. Das Taxi fährt los. Ich will schon schreien vor Verzweiflung, da wendet das rettende Gefährt und kommt auf mich zu. Der Fahrer streckt den Kopf zum Fenster raus. „Ist was passiert, junge Frau?“
„Das kann man wohl sagen“, stöhne ich erleichtert und stürze mich in das Taxi. Ich nenne dem freundlichen Kerl meine Adresse und erzähle ihm, was mir passiert ist. Weitgehend. Die Sache mit dem Boot lasse ich natürlich aus.
Der Taxifahrer sieht mich ungläubig an. Ich weiß genau, dass er jetzt Angst hat um sein Geld, aber darüber sprechen wir, wenn ich vor meinem eige nen Haus stehe. Ohne Schlüssel.
Manche Pariser Taxifahrer sind die Pest. Oder sind schon so einige Male um ihre Zeche geprellt worden und haben daraus gelernt. So wie dieser. Als er spitz kriegt, dass ich keinen Cent dabei habe, verriegelt er das Taxi von innen, parkt es quer auf dem Gehweg vor meinem Haus, zieht den Schlüssel ab und rennt zu mir herum.
„Aussteigen . Und immer schön die Hände unten behalten.“ Als ich vor ihm stehe, packt er meinen Oberarm. Ich komme mir vor
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