Verfuehrung auf Probe
entfährt es mir.
„Galgenhumor“, knurrt Eric. „Komm, Nicolette, wir gehen ins Haus. Drinnen wird es kalt sein. Wir müssen die Heizung anmachen und die Betten beziehen.“
Ich würde gern mehr über seine Familie und das Feuer erfahren, doch ich muss mich ermahnen, nicht alles auf einmal wissen zu wollen. Immerhin bin ich eine Fremde, nur der Coach. Also watschele ich hinter Eric durch den Schnee zu einem großflächig überdachten Hauseingang und frage etwas dümmlich: „Betten beziehen?“
„Dies hier ist kein Hotel. Ist das ein Problem für dich?“
„Nein, nein. Ich kann mir bloß nicht vorstellen, dass du schon einmal in deinem Leben so etwas wie Hausarbeit gemacht hast.“
„Du würdest dich wundern, was ich auf dem Gebiet alles drauf habe“, grinst Eric. Er schließt eine Tür auf, an die ein Elchgeweih angeschraubt ist, und betreten eine große, rustikale Diele, in der mindestens hundert Skischuhe und Pantoffeln in allen möglichen Farben und Größen herumstehen. An einer Wand lehnen Skier und Stöcker. Zwei Schlitten mit gebogenen Kufen stehen auch dort. Bestimmt hat einer davon seiner toten Schwester gehört. Und die Schuhe und Pantoffeln steckten einst an den Füßen seiner Familienangehörigen. Ich stoppe meine ausufernden Gedanken. Wenn ich so weitermache, schlittere ich geradewegs in eine Depression.
„Mach du schon mal Licht an und dreh überall im Haus die Heizungen auf, Nicolette, sieh dich um und suche dir ein Zimmer aus. Ich geh und hole Holz für den Kamin.“
Holz für den Kamin … Wie romantisch.
„Mache ich.“ Ich ziehe meine dicken Stiefel aus und nehme mir ein Paar Hüttenschuhe, in der Hoffnung, dass Eric nichts dagegen hat. Aber in dieser Kälte kann ich nicht auf Socken herumlaufen.
Das Haus ist vollständig aus Holz. Es ist alt, aber urgemütlich. Von der Eingangshalle mit den vielen Schuhen gehe ich in ein rustikal eingerichtetes Wohnzimmer. Darin steht ein großer Esstisch. Vor meinem inneren Auge läuft ein Weihnachtsfest mit der Familie ab. Alles ist festlich beleuchtet mit Kerzen und es duftet nach Tannennadeln. Und dann stockt mir erneut der Atem. Die zum Tal hinausgehende Hausseite hat riesige Fenster. Von hier hat man dieselbe Aussicht wie von vorhin vom Garten aus. Ich bin hin und weg. Fast vergesse ich, was Eric mir aufgetragen hat.
Mit fliegenden Schritten rase ich von einem Zimmerchen ins nächste und drehe die Heizungen auf. Alle Zimmer sind in einer anderen Farbe gestrichen. Überall hängen farbliche passende, altmodische Stoffvorhänge vor den Fenstern, die ich aufziehe, um die wunderschöne Aussicht ins Haus zu holen. Ich suche mir das kleinste Zimmer aus. Darin gibt es ein Stockbett, das in die Wand eingelassen scheint. Ich lasse mich auf das untere Bett fallen und liege wie in einer Koje. Das Bett hat sogar einen Vorhang zum Zuziehen. Das ist so süß. Bestimmt haben vor vielen Jahren Eric und seine Schwester hier geschlafen. Bei dem Gedanken daran, füllen sich meine Augen mit Tränen. Schnell stehe ich wieder auf und gehe zurück in den Wohnraum.
Eric ist inzwischen von seiner Holzsuche zurück. Er lässt einen großen Weidenkorb, der gefüllt ist mit dicken Holzscheiten, auf den Boden sinken. Sein Gesicht ist gerötet von der Kälte und auf seinem schwarz-blauen Haar und auf seinen dichten Wimpern glitzern Schneeflocken. Er sieht so wunderschön und verletzlich aus. Nach all dem, was ich darüber weiß, was mit seiner Familie geschehen ist, möchte ich zu ihm hingehen, ihn in meine Arme nehmen, ihn wiegen wie ein Baby, ihn lieben und beschützen. Aber irgendwie passt das alles nicht zu einem Dom und ich muss lauthals lachen.
„Was ist passiert?“ Eric sieht mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Verstän dlicherweise kann ich ihm wohl kaum erzählen, was mir soeben durch den Sinn gegangen ist.
„Es ist nichts“, pruste ich. „Ein Flashback. Es hat nichts mit dir zu tun.“
„Dann ist es ja gut. Amüsiere dich nur allein und lass mich Holz in den Kamin schichten.“
„Sag mal, wie spät ist es eigentlich?“ Ich trage keine Uhr. Beim Anblick der unmöglichen Kostümierung für die Vernissage habe ich vergessen sie anzulegen. Und mein Handy wiederum habe ich im Auto liegen lassen. Langsam glaube ich wirklich, das ich eine Kandidatin für Alzheimer bin.
Eric sieht auf die Uhr an seinem Handgelenk. „Halb eins.“
„Dann ist es mitten in der Nacht“, entfährt es mir. „Wozu machst du da noch den Kamin an?“
„ Du
Weitere Kostenlose Bücher