Verführung der Unschuld 2
einen Kuss aufs Haar, ehe er weitersprach und streichelte ihr mit der anderen Hand sanft über den Rücken. »Beruhige dich. Es gibt keinen Grund nervös zu sein! Wir machen nur einen Anstandsbesuch. Nicht mehr, und nicht weniger. Und du hast nichts zu befürchten, ich bin ja bei dir.«
Sie rang sich ein Lächeln ab, als sie zu ihm aufsah. »Ich weiß. Du bist immer in meiner Nähe.« Trotzdem hatte sie Angst vor diesem Wiedersehen. Ihr Blick schweifte über die Fassade mit den vielen Fenstern, in denen sich das reine Blau des strahlenden Himmels und das frische Grün des Parks spiegelten. Alles wirkte gepflegt wie immer, sogar der gekieste Weg, der zum Haus führte, war akribisch geharkt.
»Buon giorno Signora Giulia
, willkommen Signor Lorenzo«, begrüßte sie Giovanni, der Butler, der sie bereits in der offen stehenden Eingangstür erwartete. Damit die Brüder stets wussten, wer von ihnen angesprochen wurde, hatten sie einst angeordnet, nicht beide mit Signor Moreno, sondern mit ihren Vornamen angesprochen zu werden, was Giovanni nun automatisch auf Giulia übertrug.
Während ihrer kurzen Zeit als Hausmädchen und Geliebte der Hausherren hatte sie kaum Kontakt zu Giovanni gehabt. In den wenigen Momenten der Zusammenarbeit war er ihr aufgrund seiner meist ausdruckslosen Miene steif und gefühllos erschienen, was auch seine gediegene Arbeitskleidung unterstrich. Heute war es ein anthrazitfarbener Anzug, darunter eine Weste mit dezentem Nadelstreifenmuster und ein weißes Hemd mit hohem Stehkragen, der ziemlich unbequem wirkte.
»Wie heißt denn Ihr Töchterchen, wenn ich fragen darf, Signora Giulia?«
Von ihm höflich als Signora angesprochen zu werden, war ein wenig befremdlich. Doch jetzt änderte sich sein Gesichtsausdruck. Sein offenes, freundliches Lächeln und der unverhohlen neugierige Blick in den Kinderwagen erwärmten Giulias verängstigtes Herz.
»Maria. Unsere Kleine heißt Maria«, erwiderte sie stolz.
Giovanni sah Giulia an. »Maria wird bestimmt einmal so hübsch wie ihre Frau Mama.«
Innerhalb einer Sekunde spürte Giulia, wie ihre Wangen glühten. War diese Bemerkung wirklich als Kompliment zu verstehen oder war dies nur eine Schmeichelei, mit der Giovanni irgendetwas andeuten wollte? Sie war nicht gut darin, aus doppeldeutigen Bemerkungen den wahren Hintergrund herauszuhören. Aber da lachte Lorenzo leise und sie befand, sie sollte diesen Worten nicht zu viel Bedeutung beimessen.
»Wir werden sehen … Vorerst muss sie wachsen, sprechen lernen und laufen. Alles andere hat Zeit. Und? Wie geht es Ihnen, Giovanni?«
»Danke der Nachfrage«, erwiderte der Butler mit einer angedeuteten Verbeugung. »Sehr gut. Ich freue mich, dass wieder Leben in dieses Haus einzieht.«
Giulia wusste von ihrem Mann, dass der Butler und seine Frau Antonella sich in den vergangenen Monaten alleinverantwortlich um das Haus gekümmert hatten. Außer ihnen waren alle weiteren Angestellten von Lorenzo entlassen worden, wobei er sich darum gekümmert hatte, für jeden eine neue angemessene Arbeitsstelle zu finden. Giulia rechnete ihm dies hoch an. Am liebsten hätte sie selbst Mamsell Concetta oder eines der Hausmädchen übernommen, aber Lorenzo hatte dies für keine gute Idee gehalten. Alle kannten Giulia noch als Dienstmädchen, und sie war ihnen gleichgestellt oder untergeordnet gewesen, so dass es schwierig sein würde, Giulia nun als Hausherrin anzuerkennen.
»Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit, Giovanni«, erwiderte Giulia.
»Genug Austausch von Höflichkeiten, lass uns hineingehen und meinen Bruder begrüßen«, drängelte Lorenzo ungeduldig.
Der Butler trat einen Schritt zurück, um die beiden vorbeizulassen. »Die Herrschaften erwarten Sie auf der Veranda, Signor Lorenzo.«
»Danke Giovanni.«
Es fühlte sich eigenartig an, das Haus zu betreten, in das sie ursprünglich gekommen war, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die in hellem Ocker gestrichenen Wände, die großen Bilderrahmen, die echte Kunstwerke präsentierten und das teils antike Mobiliar, welches durch die offen stehenden Türen zu sehen war. Alles Dinge, die Lorenzo aus Gründen, die nur er kannte, nicht mitgenommen hatte.
Wie ungeschickt und naiv war sie damals gewesen! Giulia schüttelte im Nachhinein den Kopf über sich selbst. Durch einen dummen Fehler hatte sie ihre Lehrstelle als Floristin in Florenz, ihrer Geburtsstadt, verloren. Nur deshalb hatten ihre Eltern sie nach Lucca zu Onkel Bruno geschickt, damit sie vorerst in
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