Verfuehrung im Mondlicht
waren bereits zu ständigen Begleitern der Mädchen geworden, wurden jetzt jedoch kurzfristig aus der Eingangshalle verbannt, damit die hübschen Kleider nicht aus Versehen von den Hunden beschmutzt wurden. Die restlichen Anwesenden im Raum sprühten förmlich vor Aufregung. Bis auf Phoebe. Das junge Mädchen hielt sich trotzig etwas abseits und trug die billige Jungenhose und das Hemd, die sie als Verkleidung nach ihrem Eintreffen in London angelegt und seitdem nicht wieder hatte ausziehen wollen.
»Ihr hattet Recht, als Ihr den gelbbraunen Stoff für Hannah empfohlen habt«, erklärte Mrs. Oates. Sie betrachtete zufrieden das Kleid, das sich Hannah vor dem Spiegel anhielt. »Die Farbe passt ganz wundervoll zu ihren Augen.«
»Außerdem hat es einen entzückenden Volant am Saum«, meinte Hannah. »Ich wünschte, Joan könnte es sehen.«
Concordia gefiel die Traurigkeit nicht, die sie in Hannahs Stimme hörte. »Mach dir keine Sorgen, sie wird dein neues Kleid schon bald sehen.«
Hannahs Miene hellte sich auf. »Es wäre wundervoll, wenn sie auch so eines tragen könnte.«
»Das dürfte eher unwahrscheinlich sein«, widersprach Edwina. »Jedenfalls nicht, solange sie auf Winslow ist. Alle Schülerinnen dort müssen diese schrecklichen grauen Kittel tragen, das weißt du doch!«
»Ja, aber sobald sie siebzehn geworden ist, kann sie die Schule verlassen und auch so ein Kleid bekommen«, erklärte Hannah beharrlich.
»Joan wird Gouvernante oder Lehrerin werden, wie die meisten anderen Mädchen, welche die Winslow-Armenschule besuchen.« Theodoras Tonfall ließ keinen Widerspruch zu. »Frauen mit solchen Berufen haben keine Gelegenheit, so hübsche Kleider zu tragen.«
Hannahs Unterlippe zitterte heftig, und sie blinzelte mehrmals.
»Weine nicht, Liebes.« Concordia drückte ihr ein Taschentuch in die Hand. »Wenn diese Angelegenheit hier geklärt ist, kümmern wir uns um Joan.«
Hannah tupfte sich die Tränen aus den Augen. »Danke, Miss Glade.«
»So, nun aber Kopf hoch! Probiert diese hübschen Schuhe an.« Mrs. Oates hielt Hannah ein paar gelbe Stiefelchen mit hohen Absätzen hin. »Sie passen bestimmt ganz entzückend zu diesem Kleid.«
Concordia sah Phoebe an. »Was hältst du von deinem rosa Kleid?«
Phoebe warf einen finsteren Blick auf das Gewand. »Ich will nicht wieder Kleider tragen. Mir sind meine Hosen lieber!«
»Und du siehst in ihnen tatsächlich hinreißend aus«, versicherte Concordia ihr gelassen. »Du kannst sie so oft tragen, wie es dir gefällt. Aber nur für den Fall, dass du dich gelegentlich doch einmal umziehen möchtest, wäre es gut zu wissen, ob dir das rosa Kleid gefällt.«
Besänftigt von der Zusicherung, dass sie nicht mehr in ein Kleid gezwungen werden sollte, musterte Phoebe das Kleid kritisch. »Zum Tee dürfte es gehen, denke ich.«
»Gut, dann ist das ebenfalls geklärt«, meinte Concordia.
Mrs. Oates nickte weise. »Ich gehe davon aus, dass die Kleider hier und da ein wenig geändert werden müssen, aber Nan kann sehr gut mit Nadel und Faden umgehen. Ich schicke sie hoch, damit sie sich die Kleider ansehen kann.«
Concordia deutete auf die ungeöffneten Pakete. »Machen wir weiter mit Schuhen und Handschuhen, meine Damen.«
Edwina, Theodora, Hannah und selbst Phoebe stürzten sich auf die Pakete.
Concordia trat neben Mrs. Oates, und die beiden älteren Frauen beobachteten, wie die Mädchen die Handschuhe überstreiften.
»Ich bin Euch sehr dankbar, Mrs. Oates«, murmelte Concordia. »Ihr habt ausgezeichnet eingekauft.«
»Das war kein Problem.« Mrs. Oates lachte leise. »Ehrlich gesagt habe ich es selbst genossen.«
»Ich muss zugeben, dass es mich ein wenig erstaunt, in welch kurzer Zeit die Schneiderin so viele Kleider liefern konnte. Sie muss all ihre anderen Aufträge zurückgestellt haben, um diese Bestellung zu erledigen.«
Mrs. Oates hob die Brauen und sah Concordia wissend an. »Ich bin sicher, dass sie genau das getan hat.«
»Die Schneiderin ist eine ... Freundin von Mr. Wells?«, fragte Concordia eine Spur zu beiläufig.
»Wohl eher eine ehemalige Klientin. Sie war zweifellos höchst erfreut, dass sie endlich das fällige Honorar begleichen konnte.«
Concordias Blick zuckte erschrocken zu den kostspieligen Kleidern. »Um Himmels willen, wollt Ihr damit sagen, dass das Honorar, welches Mr. Wells für seine Dienste erhebt, den Kosten für diese Kleider entspricht?«
»Aber nein, Miss Glade.« Mrs. Oates zerstreute Concordias Bedenken mit einem
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