Verfuehrung in bester Gesellschaft
Züge wurden weicher. Einen Moment lang betrachtete er sie, dann umspielte ein Lächeln seine Lippen. „Du bist eine sehr erstaunliche Frau.“
Erstaunlich genug für ihn, um sie zu lieben? Violet erwiderte nichts.
Stattdessen dachte sie an Montgomery und die Aufgabe, die vor ihnen lag: ihn zu fangen.
Und dafür zu sorgen, dass ihr Ehemann bald wieder ein freier Mann sein würde.
30. KAPITEL
D ie Nacht war schwarz. Kein Mondschein wies ihnen den Weg. Die Themse war so dunkel wie der Himmel, nur gelegentlich spiegelte sich darin eine schaukelnde Schiffslaterne.
Rules Anspannung wuchs, als die Kutsche vor der Schreibstube des Hafenmeisters zum Stehen kam. Es war so spät, dass es in dem Gebäude schon dunkel war. Hier arbeitete heute niemand mehr. Zum Glück hing die Liste, die er zu finden gehofft hatte, neben der Tür. Auf ihr waren die Liegeplätze der Schiffe im Hafen verzeichnet sowie der voraussichtliche Termin des Ablegens.
„Jeffrey hatte recht“, sagte Rule zu Violet, als er wieder in die Kutsche stieg. „Die Redoubt läuft mit der Flut aus. Wenn Montgomery abreisen will, sollte er inzwischen an Bord sein.“
Es dauerte eine weitere Viertelstunde, bis sie den Ankerplatz der Redoubt gefunden hatten. Mit ihr wollte Montgomery London verlassen. Es war ein großer Dreimaster mit einem langen, spitzen Bug und einem schlanken Rumpf. Von den Masten hingen Laternen herab und an Deck trafen ein paar Crewmitglieder letzte Vorbereitungen zum Ablegen des Schiffes. Im Salon brannten mehrere Lichter und schienen durch Bullaugen auf die Seite des Schiffes. Die meisten Passagiere würden um diese Stunde des Tages bereits schlafen, aber einige waren offensichtlich noch auf den Beinen.
„Ich werde den Kapitän fragen“, sagte Rule. „ob Montgomery an Bord ist, und falls ja, seine Kabinennummer in Erfahrung bringen und zu ihm gehen.“
„Solltest du nicht besser auf deine Brüder und die Polizei warten?“
„Dafür ist keine Zeit. Die Flut kommt gleich. Das Schiff kann jeden Moment auslaufen.“
„Du glaubst, der Kapitän wird dir sagen, wo du Montgomery finden kannst?“
„Er wird es mir sagen“, erklärte Rule finster. „Du weißt, wie geschickt ich darin bin, jemanden zu überreden.“ Immerhin war er der Bruder eines Dukes. Manchmal konnte so ein Titel Türen öffnen. Er beugte sich vor und stieg durch die offene Wagentür ins Freie.
„Wenn Montgomery herausfindet, dass du nach ihm suchst, wird er vermutlich versuchen zu fliehen“, sagte Violet. „Was, wenn er entwischt?“
Rule zögerte einen Moment. Er wusste, dass Violet recht hatte. Dann trat er auf die Straße.
„Lass mich dir helfen“, bat ihn Violet. „Es gibt bestimmt etwas, das ich tun kann.“
Das Schiff knarrte gespenstisch, als es sich im Wasser bewegte. Rule warf einen Blick auf die Gangway, die zum Schiff hinaufführte. Wenn Montgomery an ihm vorbeikam, konnte er vielleicht entkommen. Das durfte Rule nicht zulassen.
„Also gut, komm mit.“ Er nahm Violets Hand und half ihr aus dem Wagen. Zum Glück trug sie nicht einen dieser verdammten Metallkäfige, wie sie gerade so modern waren. „Ich nehme an, du hast deine Pistole mitgenommen.“
Er wusste, sie hätte das Haus nicht ohne die Waffe verlassen. Nicht unter diesen Umständen. Montgomery war ein Mörder, und sie war immer so stolz darauf gewesen, dass sie gut schießen konnte.
Sie klopfte auf die Tasche in ihrem Rock. „Hier ist sie.“
Er nahm ihre Hand und führte sie in die Dunkelheit. „Ich möchte, dass du hier bei der Gangway und außer Sichtweite bleibst. Wenn Montgomery an mir vorbeikommt, muss er das Schiff auf diesem Weg verlassen. Wenn du ihn siehst, schieß einmal in die Luft, dann duckst du dich. Wenn ich den Schuss höre, komme ich angelaufen.“
„Gut.“
„Ich möchte nicht, dass du irgendwelche Risiken eingehst. Versprich mir, dass du hier in Deckung bleibst.“
„Ich werde hier sein und Wache halten.“
Rule führte sie zu einem Versteck hinter einem Stapel von Holzkisten, wo sie nicht zu sehen war, aber dennoch die Gangway im Blick hatte. Er zog sie in die Dunkelheit, zog ihr den Schal ein wenig fester um die Schultern, beugte sich vor und küsste sie.
„Denk an das, was ich gesagt habe. Geh kein Risiko ein.“
Sie nickte. „Sei vorsichtig.“
Rules Miene wurde hart. Er konnte es nicht abwarten, J. P. Montgomery in die Finger zu bekommen. Er wollte ihn nur festhalten, bis die Polizei eintraf, aber bei dem Gedanken an die Tage, die er
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