Verfuehrung in bester Gesellschaft
festklammerten. An der Straße spielten Kinder und Jungen verkauften Zeitungen.
Endlich erreichten sie das Haus von Großmutter Lockhart, einen großen Steinbau, dessen Äußeres sehr gepflegt wirkte. Das Innere war ebenfalls sehr ordentlich, wenn auch ein wenig in die Jahre gekommen. Adelaide Lockhart, eine liebenswürdige ältere Dame mit gewelltem Silberhaar und den gleichen blauen Augen, wie Caroline sie hatte, schien sich dennoch wohlzufühlen. Es machte ihr offenbar nichts aus, dass die Teppiche fadenscheinig wurden und die Möbel ein wenig altmodisch waren.
Am Geld lag es nicht. Der verstorbene Mr Lockhart, ein ungemein erfolgreicher Händler, hatte für seine Familie gut gesorgt. Carolines Vater hatte diese Tradition fortgesetzt und selbst in Amerika ein Vermögen gemacht. Adelaide Lockhart traten beim Anblick ihrer Enkeltochter die Tränen in die Augen.
„Oh meine Liebe, du bist so reizend! Du hast die gleichen blauen Augen wie dein Großvater, Gott habe ihn selig.“
„Es ist so schön, hier bei dir zu sein, Großmutter.“
Violet wurde von Mrs Lockhart ebenso herzlich begrüßt. Beide folgten der älteren Dame in den Salon, wo Tee und Kekse serviert wurden. Violet hatte sich der Tatsache gefügt, dass sie Kaffee nur am Morgen bekommen konnte, und begann allmählich, den Tee zu genießen.
Das Gespräch verlief lebhaft und herzlich. Es gab nur einen einzigen unbehaglichen Moment, als Carolines Großmutter sich nach Rule erkundigte.
„Ich würde ihn sehr gern kennenlernen“, sagte die ältere Dame. „Ich bin mit den Dewars nicht bekannt, aber jeder hat von dem Duke of Bransford und seinem sehr erfolgreichen Geschäft mit Ale gehört.“ Sie lächelte Violet an. „Vielleicht können Sie und Ihr Gemahl mir und meiner Enkeltochter eines Abends zum Essen Gesellschaft leisten.“
Violet warf Caroline einen angespannten Blick zu.
„Großmutter, sie versuchen gerade, sich einzurichten, nun, da Violet noch ganz neu ist in London.“
Violet versuchte, höflich zu lächeln. Sie hasste es zu lügen, aber ihr blieb nichts anderes übrig. „Caroline hat recht. Zurzeit ist es ein wenig schwierig, aber ein wenig später werden mein Mann und ich Ihre Einladung mit Vergnügen annehmen.“
Die ältere Frau strahlte. Offenbar gefiel ihr die Vorstellung, dass der Bruder eines Dukes in ihrem Haus speisen würde. „Das wäre reizend.“
Violet blieb etwas steif, nahm ihre Tasse und trank einen Schluck Jasmin-Tee.
Es war beinahe drei Uhr, als Violet endlich das Haus der Lockharts verlassen konnte. Adelaide Lockhart hatte darauf bestanden, Violet für die Fahrt zu Griffin Manufacturing am südlichen Ende der Themse ihre Kutsche zu leihen.
„Das ist nicht die beste Gegend in der Stadt, wissen Sie“, sagte Mrs Lockhart. „Sind Sie sicher, dass Ihr Gemahl es nicht missbilligen würde, wenn Sie ohne Begleitung dorthin fahren?“
Violet legte sich das Tuch um. „Rule respektiert meine Unabhängigkeit.“ Was eine glatte Lüge war. Dieser Mann zeigte alle Anzeichen, ein bestimmender und allzu beschützender Herr zu werden.
Sie beabsichtigte nicht, ihm Gelegenheit dazu zu bieten.
Die Kutschfahrt dauerte lange und führte durch Gegenden, die in der Tat zweifelhaft waren, aber schließlich erreichte sie ein großes Steingebäude mit einem beeindruckenden Turm und einem Schild, auf dem Griffin Manufacturing zu lesen war. Ein Zeichen, das sie erkannte – der geheimnisvolle Greif –, erhob sich oberhalb davon.
Violet spürte einen Anflug von Sehnsucht. Tränen stiegen ihr in die Augen. Das Zeichen war wie die Verkörperung ihres Vaters, der den Mut eines Löwen und das Auge eines Adlers gehabt hatte. Ach, wie sehr sie ihn vermisste! Es verging kaum ein Tag, an dem sie nicht an ihn dachte.
Violet holte tief Luft und sammelte sich, ehe sie die Erinnerungen verscheuchte. Der Kutscher half ihr beim Aussteigen. Dann raffte sie die seidenen Röcke und ging zur der Tür mit der Aufschrift „Kontor“.
Eine Glocke läutete, als sie in den Empfangsbereich trat und ein blonder junger Mann mit heller Haut und geröteten Wangen zu ihr eilte, um sie zu begrüßen.
„Guten Tag, Madam. Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Mein Name ist Violet Dewar. Ich bin gekommen, um meinen … meinen Mann zu sprechen.“
Er sah sie erstaunt an. „Natürlich, Mylady.“ Der junge Mann räusperte sich nervös. „Im Augenblick befindet sich Ihr Mann in einer Besprechung mit seinem Vorarbeiter. Bitte nehmen Sie Platz, während ich
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