Verfuehrung in bester Gesellschaft
ihm Bescheid sage, dass Sie hier sind.“
„Danke.“ Violet setzte sich auf eine lange Mahagonibank, die an der Wand entlanglief. Der Boden zu ihren Füßen war gebohnert und glänzte. Das Kontor war sauber und aufgeräumt, zweckdienlich hätte sie es genannt, mit einem Schreibtisch hinter der Empfangstheke für den jungen Sekretär und einer Reihe von Schränken für die Akten.
Durch die Mauern konnte sie das vertraute Hämmern und Klappern hören, das entstand, wenn die Waffen zusammengebaut wurden: Pistolen verschiedener Art und Größe sowie unterschiedliche Musketen.
In Boston hatte es ihr Spaß gemacht, die geschäftliche Seite der Firma zu leiten. Sie hatte sich als J.A. Haskell ausgegeben und die Verkäufe und die Buchhaltung geführt. Die Herausforderung hatte ihr gefallen, aber es waren andere Aufgaben gewesen, Aufgaben, die nichts zu tun hatten damit, dass Amerikaner andere Amerikaner töteten in einem Krieg, der ihnen zweifellos bevorstand.
Violet hörte, wie eine Tür geöffnet wurde, und das Geräusch unterbrach ihre Gedanken. Als Rule aus seinem Kontor trat, stand sie auf. Einen Moment lang raubte ihr seine männliche Schönheit den Atem. Er hatte die Hemdsärmel aufgerollt, sodass seine muskulösen Unterarme sichtbar waren, und sein Haar war ein wenig zerzaust. Jetzt wirkte er weniger elegant, dafür umso tüchtiger, ein tatkräftiger Mann, mit dem man rechnen musste.
Sie zwang sich, ruhig zu atmen und zu lächeln. Spät fiel ihr auf, dass er die Stirn runzelte. Als sie auf ihn zuging, wurde seine Miene immer finsterer.
„Was zum Teufel tun Sie hier?“
Sein Tonfall gefiel ihr nicht. Sie zwang sich dazu, nicht darauf einzugehen. „Ich wollte Sie sprechen. Ich habe verschlafen und Sie heute Morgen verpasst, daher kam ich hierher, um Sie zu treffen.“
Er nahm sie am Arm und zerrte sie beinahe grob in seine Schreibstube. Er schloss die Tür hinter sich.
„Dies ist eine Fabrik, Violet, und kaum der richtige Ort für eine Dame. Das Gebäude steht nur ein paar Blocks vom Hafen entfernt. Das bedeutet, dass es hier in der Gegend recht grobe und finstere Gestalten gibt. Wie sind Sie hierhergekommen?“
Sie reckte den Kopf. Es gefiel ihr nicht, wie ein Verbrecher ausgefragt zu werden. „Carolines Großmutter Adelaide Lockhart hat mir ihre Kutsche geliehen. Es gab keine Probleme, ich bin unbehelligt hier angekommen.“
„Wenn Sie unbedingt hierherkommen wollten, hätten Sie mich bitten können, Sie zu begleiten.“
Sie biss sich auf die Lippen und zwang sich zur Ruhe. „Muss ich Sie daran erinnern, dass ich dasselbe Recht habe, hier zu sein, wie Sie?“ Genau genommen waren ihre Rechte sogar größer. Denn sie waren ja nicht wirklich verheiratet, und er konnte seinen Anspruch verlieren.
Rule holte tief Luft. Dann fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. „Es tut mir leid. Ich wollte nur nicht, dass Ihnen etwas passiert.“
„Das ist sehr nett von Ihnen, aber wie Sie sehen, geht es mir gut.“
„Sie wollten die Fabrik sehen?“
„Ich weiß, wie eine Munitionsfabrik aussieht. Ich bin hierhergekommen, um über die Zukunft der Manufaktur zu sprechen. Ich dachte, Sie hätten diesbezüglich vielleicht ein paar Vorstellungen.“
Er war weiterhin angespannt. Offenbar gefiel es ihm nicht, dass eine Frau sich in die Geschäfte einmischte. Er begleitete sie zu einem der Lederstühle vor dem Schreibtisch und wartete, bis sie Platz genommen hatte. Dann setzte er sich ebenfalls.
Wie sie erst jetzt bemerkte, war das Innere des Kontors so spartanisch und zweckmäßig eingerichtet wie das Äußere. Es überraschte sie, weil Rules Geschmack in den meisten Dingen erlesen und teuer war.
„Sie möchten also über die Zukunft der Firma sprechen.“
„Eigentlich war es die Begegnung mit Mr Stanfield, die mich dazu brachte, darüber nachzudenken.“ Sie versuchte, gelassen zu wirken. „Er hat sich interessiert gezeigt, die Firma zu kaufen, und ich dachte, dass es vielleicht keine schlechte Idee wäre zu verkaufen.“
„Sie denken, dass ein Verkaufen keine schlechte Idee wäre?“
„Es lohnt sich, darüber nachzudenken. Es gibt noch so viele andere Möglichkeiten, Geschäfte zu machen. Textilherstellung. Eisenbahn. Dampfschiffgesellschaften machen unglaubliche Gewinne. Warum haben Sie Mr Stanfields Angebot abgelehnt?“
„Weil ich nicht glaubte, dass es dem Wunsch Ihres Vaters entspräche, zu verkaufen. Und weil Burton Stanfield vollkommen skrupellos ist. Er gehört nicht zu der Sorte Mensch,
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