Verfuehrung in bester Gesellschaft
ich mich überzeugt habe, dass es euch gut geht.“
„Mir geht es gut. Aber Violet ist noch ein wenig erschüttert.“ Das war noch milde ausgedrückt.
„Also war es genauso schlimm, wie es in den Zeitungen geschrieben steht.“
„Schlimmer. Es war ein Inferno. Es war ein reines Wunder, dass wir da herauskamen.“ Rule versuchte, nicht daran zu denken, wie Violet im Gang unter die Menschenmenge gestürzt war, wie das Gewicht der Menschen sie zu Boden gedrückt hatte. Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf. „Ich glaube, ich brauche einen Drink. Möchtest du auch einen?“
Royal schüttelte den Kopf. „Ich muss mich heute Nachmittag noch um Geschäfte kümmern. Die Brauerei.“
„Natürlich.“
„Aber abgesehen davon, dass ihr beide beinahe gestorben wäret – wie geht es sonst so zwischen euch?“
Rule schenkte sich ein Glas Brandy ein und trank einen Schluck. „Falls du wissen möchtest, ob ich diese Ehe vollzogen habe, so lautet die Antwort Ja. Unglücklicherweise habe ich dafür keinen günstigen Zeitpunkt gewählt und jetzt verlangt meine Frau die Scheidung.“
Royal sah ihn verblüfft an und richtete sich kerzengerade auf. „Sag mir, dass das ein Scherz ist.“
„Ich wünschte, es wäre so.“
Royal blickte ihn schadenfroh an. „Da höre ich nun schon seit Jahren, welch ein großartiger Liebhaber mein jüngster Bruder ist. Warum setzt du dieses Talent nicht endlich einmal sinnvoll ein und bringst deine Ehefrau dazu, sich so in dich zu verlieben wie die Hälfte aller Frauen von London?“
Rule nippte an seinem Getränk und dachte einen Moment lang nach, ob das möglich wäre. Er hatte Violets Vertrauen immerhin zweimal missbraucht.
„Das wäre nicht fair, denn ich liebe sie nicht.“
Royal lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Aber du gibst zu, dass dir etwas an ihr liegt.“
„Mir liegt sehr viel an ihr. Aber das ist nicht dasselbe, wie jemanden zu lieben.“
Royal sah ihn aufmerksam an. „Ich glaube, es besteht noch Hoffnung für dich, mein kleiner Bruder.“
„Was soll das denn heißen?“
„Du denkst zuerst an Violet, dann an dich. Das ist noch bei keiner anderen Frau der Fall gewesen.“
„Ich war auch noch nie verheiratet.“
Royal lächelte. „Genau.“
Eine Weile plauderten sie noch über Royals Pläne, die Brauerei zu vergrößern, dann erhob der Duke sich von seinem Stuhl. „Ich sollte nach Hause fahren und meiner Frau sagen, dass ihr in Sicherheit seid, du und Violet, sonst reißt sie mir den Kopf ab.“
„Sag ihr, wir wissen ihre Besorgnis zu schätzen.“
„Ich werde auch Reese eine Nachricht zukommen lassen, für den Fall, dass er gehört hat, dass ihr dort gewesen seid.“
Rule nickte. Während er seinem Bruder nachsah, wie der durch die Tür hinausging, beneidete Rule ihn zum ersten Mal in seinem Leben um seine glückliche Ehe.
Während der nächsten beiden Tage weigerte sich Violet, Rule beim Frühstück oder beim Abendessen Gesellschaft zu leisten. Sie gab vor, Kopfschmerzen zu haben oder zu erschöpft zu sein.
Tatsächlich war sie einfach noch nicht bereit, ihm gegenüberzutreten.
Jetzt, da ihr Zorn verraucht war, schweiften ihre Gedanken immer wieder zurück zu der Nacht, in der sie sich geliebt hatten. Sie erinnerte sich an jeden Kuss, an jede Berührung. Wie es sich angefühlt hatte, als er in ihr gewesen war.
Immer wieder sah sie die Bilder vor sich, und jedes Mal wurde ihr warm dabei.
Himmel, sie hatte sich nie für eine besonders leidenschaftliche Frau gehalten. Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Lag es nur daran, dass er ihre weiblichen Instinkte geweckt hatte? Was immer die Antwort sein mochte, früher oder später musste sie ihm gegenübertreten. Sie war seine Gemahlin und wenigstens für den Augenblick ließ sich das auch nicht ändern.
Und da war noch ihre Entscheidung, die Firma zu verkaufen – jedenfalls ihren Anteil daran.
Den ganzen Morgen über lief Violet rastlos durch das Haus, lenkte sich gelegentlich mit Lesen oder Sticken ab und wünschte sich, sie hätte etwas Interessanteres zu tun. Rule hatte seine tägliche Arbeit im Kontor wieder aufgenommen und würde erst am späten Nachmittag nach Hause zurückkommen.
Violet seufzte. In Boston war sie täglich in die Fabrik gefahren, war durch die Hintertür hineingegangen und hatte den größten Teil des Tages gearbeitet. Ihr Leben war interessant und erfüllt gewesen, nicht so leer und langweilig wie hier in London.
Sie kehrte in den kleinen Salon im hinteren
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