Verfuehrung in bester Gesellschaft
aufmerksam an. Beinahe konnte er sehen, wie ihre Gedanken arbeiteten. Eine lange Zeit verging. „Ich werde darüber nachdenken“, sagte sie endlich und er war überrascht, wie erleichtert er sich fühlte.
Dann neigte er leicht den Kopf. „Danke.“
Er sah ihr nach, als sie sich umdrehte und hinausging. Ihre weiten Röcke schwangen verführerisch. Rule erinnerte sich daran, wie leidenschaftlich sie am Abend gewesen war, und an das Verlangen, das er gerade erst geweckt hatte. Er würde ihr ein wenig Zeit geben und dann erneut mit ihr sprechen.
Doch als er nach ihr zu suchen begann, stellte er fest, dass sie fort war. Und wieder spürte er den unangenehmen Druck in seinem Magen.
10. KAPITEL
V iolet lief vorbei an dem Butler in Adelaide Lockharts dreistöckiges Haus in Belgravia. Zu ihrer Erleichterung war die Dame des Hauses ausgegangen, um eine kranke Freundin zu besuchen, sodass Caroline allein war. Die Cousine war gerade in der Halle, als sie Violet bemerkte.
„Himmel, wie siehst du denn aus? Du bist ja ganz blass!“ Caroline lief auf sie zu und ergriff ihre Hände. „Was um alles in der Welt ist geschehen?“ Noch als sie sprach, führte sie Violet durch den Korridor in den Familiensalon und schloss schnell die Tür hinter ihnen.
Violet ließ sich auf das burgunderrote Rosshaarsofa fallen. Sie hatte wieder Kopfschmerzen. Ihr Magen knurrte. Seit dem Mittagessen am Vortag hatte sie nichts mehr zu sich genommen.
Caroline musterte sie besorgt. „Ich lasse den Butler etwas Tee bringen. Und so wie du aussiehst, würden ein paar Kekse auch nicht schaden.“
„Danke“, sagte Violet matt. Nach ihrer Auseinandersetzung mit Rule schien sie alle Kraft verlassen zu haben.
Bis der Tee kam, wechselten beide kaum Worte. Als der Butler gegangen war, goss Caroline Tee aus der silbernen Kanne in zwei Porzellantassen und reichte eine davon Violet, zusammen mit einem Teller voller kleiner, mit Zuckerguss überzogener Kuchen und Kekse.
„Deine Hände zittern. Du solltest etwas essen, ehe dir übel wird.“
„Mir ist schon übel.“
Caroline sah auf. „Nun sag schon, was ist passiert?“
Violet hob die Tasse und es gelang ihr, vorsichtig daran zu nippen. „Hast du … du von dem Feuer in der vergangenen Nacht gehört? Ich dachte, es hätte vielleicht in den Morgenzeitungen gestanden.“
„Aber natürlich hat es in der Zeitung gestanden. Im Royal Pantheon sind zweiundzwanzig Menschen ums Leben gekommen, jedenfalls soweit man es bis jetzt weiß. Einige von ihnen wurden zu Tode getrampelt, als sie nach draußen flüchten wollten, andere verbrannten, als sie versuchten, den Flammen zu entkommen. Ich kann mir dieses Grauen kaum vorstellen.“
Violets Hände zitterten noch heftiger. Sie stellte die Tasse hin, ohne einen weiteren Schluck zu trinken. „Wir sind dort gewesen. Rule und ich. Wir wollten uns das Stück ansehen.“
„Oh mein Gott!“ Caroline stellte ihre Tasse ebenfalls ab. Sie ging zu Violet und schloss sie in die Arme. „Ach, meine arme liebe Cousine! Wie geht es dir? Was ist mit Rule? Himmel, sag mir, dass keiner von euch verletzt wurde!“
Violet schüttelte den Kopf. Zitternd holte sie Luft und atmete wieder aus. „Es war ein Albtraum, Caroline. Ich kann die schrecklichen Bilder nicht vergessen. Rule … Rule hat mir das Leben gerettet. Wir wären beide in der vergangenen Nacht beinahe gestorben.“
„Ach, meine arme Kleine.“ Caroline legte einen Arm um sie und stützte sie ein wenig. „Bist du deswegen gekommen? Wolltest du über das reden, was passiert ist?“
„Ich wollte über das reden, was … danach passiert ist.“
Caroline runzelte die Stirn. „Danach? Was meinst du mit danach?“
„Wir waren beide sehr aufgeregt. Rule hat sich um mich gekümmert und versucht, mich zu trösten. Wir haben uns geliebt, Caroline. Rule und ich, wir haben miteinander geschlafen.“
Caroline starrte sie an. „Du und Rule, ihr habt …“
Violet nickte zögernd. „Zu jenem Zeitpunkt kam es mir vor, als wäre es nicht real, als … als wäre es eine Art Traum. Ich war Rule so dankbar, weil er mich gerettet hatte, und ich war so froh, am Leben zu sein. Und nun … nun bin ich keine Jungfrau mehr.“
Caroline sah sie fassungslos aus ihren blassblauen Augen an. „Oh je.“
„Genau. Du verstehst sicher, warum ich aufgeregt bin. Ich kann keine Annullierung mehr bekommen. Jeffrey wird mir niemals verzeihen.“
Caroline setzte sich ein wenig aufrechter hin. „Dewar hat deine Situation
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