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Verfuehrung in Gold

Verfuehrung in Gold

Titel: Verfuehrung in Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Dahl
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Unfall. Und ich habe nichts getan.«
    »Du warst noch ein Kind, und er war dein Vater.«
    Sie begann zu weinen, leise, hohe Laute, während ihre Tränen auf die Decken tropften. Diesmal sträubte sie sich nicht, als Hart sie an sich zog. Sie hasste ihre Schwäche, konnte indes nichts gegen den überwältigenden Wunsch nach Trost tun.
    »Er war so klein. Und als sie es mir sagten, habe ich ihnen nicht geglaubt. Ich konnte es nicht. Ich sagte zu seiner Amme, dass sie eine blöde Kuh ist, und rannte hinauf auf den Dachboden, um mich zu verstecken. Dort muss ich stundenlang geblieben sein, denn als ich wieder nach unten kam, war es dunkel. Und … alle waren fort. Alle. Mein Vater hatte die meisten von ihnen seit Monaten nicht bezahlt. Sie nahmen Silber, Teppiche und Kristall mit. Es war kalt und stockfinster.«
    »Du musst furchtbare Angst gehabt haben.«
    »Ich … ich wusste nicht, was ich machen sollte.«
    »Natürlich nicht.« Er war unter die Decken geschlüpft und hielt sie an sich geschmiegt. Seine Hände streichelten ihren nackten Rücken. Es war eine Berührung, die nichts forderte und nichts mit dem Liebesakt gemein hatte. Emma wollte am liebsten in ihn hineinkriechen, in seiner Wärme und seiner Kraft verschwinden. Aber sie konnte nicht verschwinden, ganz gleich, wie sehr sie es wünschte.
    »Ich fand eine Kerze auf dem Fußboden, die einfach dort lag. Die zündete ich an und ging herum, suchte nach jemandem, war sicher, dass mein Bruder in seinem Bett oder in seinem Schulzimmer war. Ich erinnere mich, wie das Wachs auf meine Hand tropfte, aber ich wagte nicht, die Kerze abzustellen. Und dann fand ich ihn.«
    Harts Atem vibrierte in seiner Brust. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihr Ohr direkt über seinem Herzen lag, sodass sie das kräftige, regelmäßige Schlagen hörte.
    »Sie lagen auf dem Esstisch. Ihre … die Diener hatten sie dorthin gelegt, aber mehr auch nicht. Sie wussten, dass ich im Haus war und sie finden würde. Ich weiß nicht, warum sie das taten. Sie hatten sie nicht gesäubert oder auch nur das Blut abgewischt.«
    »Das tut mir so leid, Emma.«
    »Und mein Bruder … mein kleiner Bruder. Er hatte nie eine Mutter gehabt. Ich kümmerte mich um ihn und liebte ihn. Ich hob ihn hoch, wenn er hinfiel, tröstete ihn. Und nun war er von der Kutsche zerquetscht worden, als sie umstürzte, eingeklemmt unter dem Rad. Er muss schreckliche Schmerzen gelitten haben.«
    »Gewiss ging es sehr schnell.«
    »Nein, ging es nicht. Sie brachten ihn nach Hause, voller Schmutz und getrocknetem Blut. Schmutzig und kalt. Aber auf seinem Gesicht waren helle Streifen. Ich weiß, dass er geweint hat, denn diese Tränenspuren zogen sich durch das Blut. Er hat auf der Straße gelegen und geschrien. Nach mir.«
    »Emma, nicht.«
    »Ich weiß sogar, wie es geklungen hat, weil ich es bis heute hören kann. Er wollte, dass ich die Schmerzen wegpuste, Hart, so wie ich es sonst auch gemacht habe. Und ich weiß nicht, wie lange er so geweint hat. Wenn ich daran denke, möchte ich auch sterben.«
    »Schsch«, raunte er, als sie schluchzte. »Schsch. Du hast ihn geliebt und ihm damit etwas Gutes in seinem Leben geschenkt. Es war nicht deine Schuld.«
    »Ich wusste, dass es passieren würde.«
    »Du warst ein Kind. Ach, Emma, du warst doch noch ein Kind. Es tut mir so leid.«
    Sie weinte um ihren Bruder, um alle aus ihrer Familie, die gestorben waren, und sogar um Matthew. Hart hielt sie fest, streichelte ihren Rücken und murmelte tröstende Laute in ihr Haar.
    Als sie sich schließlich beruhigte, küsste er sie auf die Stirn. »Übrigens erinnere ich mich an dich, wie du in deinem Nachthemd und mit den langen Zöpfen auf jenem Korridor standest. Du warst sehr mutig und klug, und du hattest es nicht verdient, in solch einem Haus zu leben. Ich bereue, dass ich nicht mehr für dich getan habe.«
    Sie atmete zittrig vor Erleichterung, dass er sich jener Nacht und des Kindes entsann, das dachte, es könnte alle retten, wenn es sie nur hinreichend liebte. Und das doch alles verlor, was ihm lieb und teuer gewesen war. »Du hättest nichts tun können. Er war mein Vater.«
    Seine Hand strich in sanften Kreisen über ihre Haut. »Ich hatte noch eine Schwester, vor Alex.«
    Emma nickte, ihre Wange rieb über sein durchnässtes Hemd.
    »Sie starb kurz nach ihrem ersten Geburtstag. Keiner erzählte mir, was geschehen war. Eben war sie noch da, krabbelte und watschelte umher, lachte mich an, kaute auf meinen Spielsachen; und zwei Tage später

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