Verführung pur
Kind zu bekommen.”
Noelle schüttelte den Kopf. “Dich zu bekommen war nichts verglichen mit dem Schmerz, mein kleines Mädchen zurücklassen zu müssen. Ich werde mein Leben lang bereuen, dass ich mich von meinen Eltern dazu überreden ließ. Glaub mir, Mia, ich habe es nur getan, weil ich davon überzeugt war, deine Großeltern könnten besser für dich sorgen als ich. Doch auch wenn ich dich nicht allein aufziehen konnte, hätte ich niemals zulassen dürfen, dass sie mich aus deinem Leben verbannen. Ich bin nie für dich da gewesen, und das ist unverzeihlich.”
Nun weinte Mia hemmungslos. Die Tränen rollten ihre Wangen hinab und über ihr Kinn. Sie griff nach Noelles Hand und hielt sie ganz fest, und auch ihre Mutter konnte sich nicht länger beherrschen. Hand in Hand saßen sie nebeneinander, und in diesem Augenblick waren sie nicht die Freundinnen oder Schwestern, für die sie vielfach gehalten wurden, sondern Mutter und Tochter.
Mia lehnte den Kopf an Noelles Schulter und genoss die tröstliche Nähe, die ihr all die Jahre gefehlt hatte.
Schließlich reichte Noelle ihr ein Taschentuch. “Du solltest besser zusehen, dass du fertig wirst. Heute ist dein Abend, und die Ausstellung wird dein großer Durchbruch werden, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Also darf ich dir diese Chance auf keinen Fall vermasseln, indem ich dich zum Weinen bringe.”
Mia nickte lächelnd und wischte sich die Augen, unter denen die Wimperntusche dunkle Schatten hinterlassen haben dürfte. “Grandpa und Grandma waren immer stolz auf dich, Mom, egal wie wild und rebellisch du dich auch aufgeführt hast.”
Das Gespräch auf die Großeltern zu bringen erschien Mia sicherer. Sie konnte ihrer Mutter jetzt nicht sagen, wie schmerzlich sie sie all die Jahre vermisst hatte. Außerdem war ihr klar geworden, dass Noelle unter der Trennung weit mehr gelitten hatte als sie selbst.
“Wirklich?”, fragte Noelle schniefend und wischte sich die Tränen ab.
“Grandpa hat allen Kunden Beachcomber-Streichhölzer geschenkt, als er erfuhr, dass du dein Examen an der Universität von Indiana geschafft hattest.”
“Du spinnst”, sagte Noelle und versetzte ihr einen liebevollen Knuff. “Reden wir hier über denselben Norman Quentin?”
Mia lachte und stand auf. “Und ob. Aber die anderen Sachen behalte ich im Moment lieber für mich. Ich werde dich ein andermal einweihen, wenn ich nicht gerade hinterher die Kunstliebhaber von Tampa beeindrucken muss. Meine Augen sind jetzt schon so rot, dass ich nur noch auf ein Wunder hoffen kann.”
Sie wandte sich wieder dem Rahmen zu, an dem sie gearbeitet hatte, bevor Noelle kam.
“Gute Idee”, sagte Noelle nickend. “Kann ich dir irgendwie helfen?”
“Ist Seth da?”, fragte Mia prompt und ärgerte sich sogleich darüber, wie verängstigt ihre Frage klang.
“Noch nicht, aber dafür ist die Galerie schon brechend voll.” Noelle musterte ihre Tochter von oben bis unten. “Also nimm es mir nicht übel, aber will die große Künstlerin in diesem Aufzug ihre erste Ausstellung eröffnen?”
Mia starrte an sich hinunter. Sie trug Jeansshorts und ein T-Shirt. “Ach, du lieber Himmel, daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Kannst du vielleicht versuchen, dieses Bild fertig zu rahmen, während ich nach meinem Kleid suche?”
Noelle nahm ihr den Rahmen ab. “Ich werde mal sehen, ob Brock inzwischen zurück ist. Zu zweit sollten wir damit wohl fertig werden.”
“Klasse. Ich liebe dich, Mom”, sagte Mia erleichtert und gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange.
“Ich dich auch, Mia”, erwiderte Noelle augenzwinkernd. “Und jetzt ab mit dir!”
Mia holte ihr Kleid und ihre Kosmetiktasche unter den Werkzeugen hervor und sprang vom Transporter. Dann eilte sie zum Hintereingang der Galerie, von wo sie unbemerkt in die kleine Garderobe gelangen konnte.
Sie wollte lieber nicht darüber nachdenken, wie viel weniger nervös sie wäre, wenn Seth endlich auftauchte. Seine Stärke und Gelassenheit fehlten ihr mehr denn je, und sie wusste nicht, wie sie den Abend ohne ihn überstehen sollte.
Obwohl er ihr unzählige Male gesagt hatte, dass ihre Bilderausstellung ein voller Erfolg werden würde, dass ganz Tampa begeistert sein würde und sie sich keine Sorgen zu machen brauchte, selbst wenn sie nicht genug davon verkaufen konnte, um den Beachcomber zu retten, hätte sie ihn lieber bei sich.
In dem kleinen Ruheraum, der heute als ihre Garderobe dienen sollte, kollidierte sie beinahe
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