Verfuehrung
besaß, in jener Nacht das Zimmer wieder zu verlassen. Sophy hatte so süß und gefügig und verlockend ausgesehen, daß er sie am liebsten an sich gerissen und sein Recht gefordert hätte. Aber ihre Ankunft hatte ihn durcheinandergebracht, und er traute seinen Reaktionen nicht. Er hatte gewußt, daß er Zeit zum Nachdenken brauchte.
Bis zum folgenden Morgen war ihm auch klargeworden, daß er sie jetzt, wo sie wieder bei ihm war, nicht einfach wegschicken konnte. Es bestand auch gar kein Grund dafür, hatte er sich eingeredet. Sie hatte schließlich ihren Stolz überwunden, war in die Stadt gekommen und hatte sich ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie hatte darum gebeten, bleiben zu dürfen. Hatte sie sich denn nicht für die peinlichen Vorfälle in Eslington Park entschuldigt?
Julian kam zu dem Schluß, daß sein Stolz gerettet war und die Lektion erteilt. Er würde gnädig sein und ihr erlauben, in der Stadt zu bleiben. Die Entscheidung war nicht schwierig gewesen, auch wenn er bis zum Morgengrauen deshalb kein Auge zugemacht hatte.
Im Lauf dieser schlaflosen Nacht hatte er ebenfalls beschlossen, daß er sofort seine ehelichen Rechte fordern würde. Er hatte weiß Gott lange genug darauf verzichtet. Aber bis zum Morgen war ihm klargeworden, daß es doch nicht so einfach war. Etwas fehlte bei dieser Gleichung.
Nachdem er nicht direkt ein Mensch war, der häufig in sich ging und zur Selbstanalyse neigte, hatte er fast den ganzen Morgen bis zu dem Gespräch im Arbeitszimmer gebraucht, eine vage Vorstellung davon zu kriegen, was daran falsch war, sofort zu Sophy ins Bett zu springen.
Schließlich hatte er sich eingestanden, daß er nicht wollte, daß Sophy sich ihm nur aus weiblicher Pflichterfüllung hingab.
Es war, um ehrlich zu sein, verdammt bitter, daß sie das wollte. Er wollte von ihr begehrt werden. Er wollte in diese klaren, ehrlichen Augen schauen und darin echtes Verlangen und weibliches Bedürfnis lesen. Aber vor allem gefiel ihm die Vorstellung nicht, daß sie, egal wie willig sie sich jetzt gab, insgeheim immer noch fand, er hätte ihre ursprüngliche Abmachung verletzt.
Diese Erkenntnis hatte ihn in ein frustrierendes Dilemma gestürzt. Außerdem war er deshalb außerordentlich gereizt, worauf ihn seine Freunde hilfsbereit hinwiesen.
Daregate und Thurgood waren nicht so dumm gewesen, ihn zu fragen, ob er zu Hause Ärger hätte, aber Julian war sich bewußt, daß beide das vermuteten. Beide hatten mehrmals angedeutet, daß sie sich darauf freuten, Sophy kennenzulernen. Heute abend würden sie und der Rest der Gesellschaft die erste Gelegenheit dazu haben.
Julians Laune besserte sich etwas, als ihm der Gedanke kam, daß Sophy inzwischen wahrscheinlich heilfroh sein würde, ihn endlich zu sehen. Er wußte, daß sie damit rechnete, gesellschaftlich ein totaler Reinfall zu sein, genau wie vor fünf Jahren. Die diesmalige Anwesenheit eines Ehemanns würde ihr sicher etwas Mut geben. Vielleicht würde ihre Dankbarkeit sie sogar dazu bringen, ihn in einem etwas günstigeren Licht zu sehen.
Julian war schon öfter bei den Yelvertons zu Gast gewesen und kannte sich im Ballsaal aus. Er vermied es, vom Butler angekündigt zu werden und suchte sich die Treppe zu dem Balkon, von dem aus man den überfüllten Saal überschauen konnte.
Er stemmte beide Hände gegen das schwer geschnitzte Geländer und sah sich das Gewühl an. Tausende von Kerzen erleuchteten den Ballsaal. In einer Ecke spielte eine Kapelle, und mehrere Paare waren auf der Tanzfläche. Prachtvoll livrierte Lakaien, beladen mit Tabletts, schlängelten sich durch das Gedränge elegant gekleideter Männer und Frauen. Gelächter und Gespräche tönten nach oben.
Julian ließ den Blick durch den Raum schweifen und versuchte, Sophy zu entdecken. Fanny hatte ihm gesagt, ihr Protegee würde ein rosenfarbenes Kleid tragen. Sophy würde ohne Zweifel bei einem der Grüppchen von Frauen stehen, die die Wand neben den Fenstern säumten.
»Nein, Julian, sie ist nicht da drüben. Sie ist auf der anderen Seite des Raums. Man kann sie kaum sehen, weil sie nicht sehr groß ist. Wenn sie von einer Gruppe bewundernder Männer umgeben ist, wie jetzt im Augenblick, wird sie praktisch unsichtbar.«
Julian drehte den Kopf und sah seine Tante auf sich zukommen. Lady Fanny lachte wie immer übers ganze Gesicht und sah hinreißend aus in silbergrünem Satin.
»Guten Abend, Tante.« Er nahm ihre Hand und führte sie an seine Lippen. »Ihr seht blendend aus
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