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Vergangene Schatten

Titel: Vergangene Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Robards
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Curls, jetzt sag schon. Wo liegt das Problem?« Er wusste, dass er nicht allzu mitfühlend klang. Aber eine weinende Frau war so ziemlich das Letzte, auf das er sich im Moment noch einlassen wollte. Dass er trotzdem nicht einfach weglief, war seiner Ansicht nach bemerkenswert genug.
    Sie sah ihn aus verengten Augen an.
    »Rede ich etwa Russisch, dass du mich nicht verstanden hast? Ich habe gesagt, dass du mich allein lassen sollst.«
    Dass sie so abweisend reagierte, bewirkte bei ihm das genaue Gegenteil von dem, was sie offenbar beabsichtigt hatte. Es berührte ihn zutiefst. Carly hatte die Statur einer Mücke und sah mit ihren blauen Augen und ihren Locken wie ein junges Mädchen aus - aber sie war immer schon eine Kämpferin gewesen. Sie hatte in ihrem Leben wahrscheinlich noch mehr Kränkungen erfahren als er, und sie ließ sich dennoch niemals unterkriegen. Das war etwas, das er sehr bewunderte, bei Männern ebenso wie bei Frauen.
    »Das habe ich schon verstanden - aber ich möchte trotzdem gern wissen, warum du weinst, und ich gehe nicht weg, bis du es mir gesagt hast.«
    »Dann kannst du von mir aus die ganze Nacht hier stehen.«
    Matt seufzte. Auf diese Weise würde er nie ans Ziel kommen. »Du weißt hoffentlich, dass du dich ziemlich kindisch benimmst?«
    »Na, und wenn schon. Dafür bist du ein wenig zu neugierig, damit sind wir wieder quitt, würde ich sagen. Außerdem geht es dich einen feuchten Dreck an, warum ich weine.«
    »Und ob es mich was angeht. Immerhin bin ich praktisch dein ältester Freund.« Es half manchmal bei Frauen, wenn man sich ein wenig bei ihnen einschmeichelte. Er war schon so müde, dass er alles versuchen musste, um nicht ewig hier stehen zu müssen.
    »Also, nur so viel zur Klarstellung: Wir sind keine Freunde. Was wissen wir denn noch voneinander?«
    So viel zum Thema Einschmeicheln. Sie schniefte erneut -und es klang genauso herzzerreißend wie zuvor. Matt gab jede Hoffnung, vor dem Morgengrauen noch ein Auge zumachen zu können, auf und hockte sich zu ihr.
    »Was ist los, Baby?«, frag{£ er mit so viel Zärtlichkeit in der Stimme, dass er selbst überrascht war.
    Sie sah ihn finster an. Jedenfalls gab sie sich alle Mühe, so finster wie möglich dreinzublicken, wenngleich ihre zitternden Lippen nicht ganz dazu passten.
    »Ich habe schlecht geträumt, nichts weiter«, antwortete sie. »Ich bin davon aufgewacht, aber jetzt ist wieder alles okay. Oder sagen wir, es wäre alles okay, wenn du endlich abhauen und dich um deine eigenen Angelegenheiten kümmern würdest.«
    »Willst du mir erzählen, was los ist?«
    »Nein.«
    »Ist es wegen deiner Mutter?« Ihre Mutter hatte sich kaum um Carly gekümmert; sie war eine mannstolle Alkoholikerin, die ihr Kind oft tagelang in der Obhut von Nachbarn ließ, während sie sich auf irgendwelchen Partys vergnügte. Und dann, eines Tages, kam sie überhaupt nicht mehr zurück. Später fand Carly heraus, dass ihre Mutter mit ihrem damaligen Freund nach Kalifornien durchgebrannt war. Als die Nachbarin, die sich gerade um Carly kümmerte, erkannte, dass Carlys Mutter wohl nicht mehr zurückkommen würde, rief sie beim Jugendamt an, damit man das Kind abholte. So kam es auch, und Carly landete schließlich in einem Heim für Kinder in Not, wie man es dort nannte. Und dort blieb sie auch, bis ihre Großmutter, die sie nie zuvor gesehen hatte, sie von dort wegholte. Matt wusste das alles, weil ganz Benton es wusste. Was er als Einziger wusste, war, dass sie noch jahrelang Albträume hatte, weil ihre Mutter sie verlassen hatte. Sie hatte es ihm eines Tages unter Tränen anvertraut. Wie ein verwundetes Tier hatte sie geheult, während er sie etwas verlegen in seinen Armen hielt. Soweit er wusste, war die Erinnerung an ihre Mutter das Einzige, was Carly zum Weinen bringen konnte.
    »Nein!«, rief sie wütend aus. Es war ihr sichtlich zuwider, dass er sie an diese unliebsamen Ereignisse erinnerte.
    »Es war nicht deswegen?«
    »Nein! Ich habe vom Heim geträumt.«
    »Aha. Es muss ziemlich schlimm dort gewesen sein, dass du heute noch deswegen weinst.«
    »Es war ... schrecklich«, sagte sie mit bebender Stimme, und es war ihm klar, dass sie nicht ihren Traum meinte, sondern das, was sie tatsächlich dort erlebt hatte. Es wurde ihm bewusst, dass sie nie über ihre Zeit im Heim gesprochen hatte. Sie war nicht lange dort gewesen, nur eine oder zwei Wochen. Bisher hatte er immer gedacht, dass in der kurzen Zeit kaum etwas Nennenswertes passiert sein konnte.

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