Vergeben, nicht vergessen
darüber im Klaren, dass Sie sich beide dennoch sorgen werden.«
»Sie wollen weder Richter Hunt noch mich dabeihaben?«
»Meiner Ansicht nach wäre es besser, wenn das Gespräch nur zwischen Emma und mir stattfinden würde. Sie würden sich viel zu sehr aufregen. Und Richter Hunt würde die Wut packen. Nein, nur Emma und ich alleine.«
»Wenn Sie es für besser halten, Dr. Loo. Aber Sie werden mich doch anrufen, nicht wahr?«
»Selbstverständlich.« Dr. Loo wandte sich lächelnd wieder Emma zu, beugte sich zu ihr herab und strich ihr über die Schulter. »Wir sehen uns morgen, Emma. Und bis dahin möchte ich, dass du dich sehr gut ausruhst und versuchst, deine Mama mindestens drei Mal am Tag anzulächeln.«
»Und was ist mit mir?«
»Und Ramsey musst du sechs Mal am Tag anlächeln. Ich habe herausgefunden, dass Männer öfter ein Lächeln benötigen als Frauen. Vergiss das nicht.«
Ramsey blickte lächelnd auf Emma herunter. Es war früher Nachmittag, zwei Stunden vor Louey Santeras Trauerfeier. Er hatte Emma nach oben gebracht und die Decke um sie festgesteckt. »Mir gefällt deine Jazz-Variation, Emma. Weißt du eigentlich, dass Herr Savich Gitarre spielt und dazu singt? Und zwar Country und Western. Er tritt in einem Club auf. Es ist zwar nicht die Carnegie Hall, aber es ist ein schöner Ort, hat er mir erzählt. Er hat auch einen Freund, der Saxophon spielt. Sherlock und er wollen, dass wir sie einmal besuchen.«
»Ich wünschte, sie würden hier bleiben. Sherlock hat mir gesagt, sie wünscht sich ein kleines Mädchen ganz wie ich. Und sie hat gesagt, dass es Herrn Savich genauso geht. Sie hat gesagt, dass sie mich beide ganz toll finden. Ich habe ihr gesagt, dass das nicht richtig ist. Ich bin nicht mehr richtig gut.«
Ramsey blickte auf das Kind herab, für das er sein Leben lassen würde. Er hatte gerade ihre Stirn geküsst und ihr ein Kompliment wegen ihrer Musik gemacht, und nun das. Zärtlich strich er ihr das Haar aus dem Gesicht. Doch bevor er eine Antwort gefunden hatte, fuhr Emma fort: »Sherlocks Gesicht ist krebsrot geworden. Sie war wahnsinnig wütend, aber sie meinte, sie sei nicht auf mich wütend.«
»Sie hat gesagt: >Du, meine perfekte Emma, sollst nicht gut sein? Wie kommst du denn auf diese verrückte Idee?<«
Sie wandte den Blick ab und sah in eine Vergangenheit, die sie immer noch gefangen hielt, die sich immer noch einen Weg in die Gegenwart bahnte. »Der Mann hat gesagt, ich würde ihn erlösen. Ich hatte keine Ahnung, was er damit meint.«
Ramsey hätte morden wollen. Er zwang sich, tief durchzuatmen, und versuchte sich zu beruhigen. Das war eine Sache für Dr. Loo, doch die war jetzt nicht da. Er aber war da, doch seine Wut würde ihr nicht helfen. »Hör mir mal zu, Em. Dieser Mann, der dich entführt hat, ist krank im Kopf, richtig krank. Was er denkt und was er tut hat nichts mit dir zu tun -mit Emma Santera. Er hätte jedem kleinen Mädchen wehgetan, das er hätte finden können. Begreifst du das?«
»Nein«, erwiderte sie nach einer Weile. »Ich verstehe es nicht. Es jagt mir Angst ein, Ramsey.«
Er beugte sich herunter und berührte ihre Stirn mit seiner, dann küsste er ihre Nasenspitze. »Hör zu, Emma. Wir gehören zusammen. Wir drei zusammen könnten das Schlimmste besiegen, was man sich nur ausdenken kann. Du bist ein sehr gutes kleines Mädchen, Emma. So gut sogar, dass allein der Gedanke, dass du nicht mehr bei mir sein könntest, eine große Beule in mein Herz schlägt. So gut bist du.«
Sie lachte ihn breit an und strich ihm mit ihrer kleinen Hand über die Wange. »Du gehst doch nicht, Ramsey, nicht wahr? Du wirst doch nicht wieder nach Hause gehen?«
Er nahm ihre Hände in seine und küsste ihre Finger. Sie schmeckten nach dem Ingwerlebkuchen, den Miles für sie zu Mittag gebacken hatte. Er wusste nicht, wie die Zukunft aussehen würde, gleichzeitig war ihm klar, dass er ihr das nicht würde sagen können. Ihr Leben war zerstört worden, ihren Vater hatte man ermordet. Und nun sagte er, ohne jeden Anflug eines Zweifels: »Ich werde dich nie verlassen, Emma, niemals.«
»Gut«, erwiderte sie und gähnte.
»Emma?«
»Ja, Ramsey?«
»Wirst du nur ein einziges Mal ein richtiges kleines Biest sein? Vielleicht nachdem du aus dem Mittagsschlaf aufwachst? Oder heute Abend? Beispielsweise könntest du anfangen, darüber zu jammern, dass du deine Milch trinken musst oder aufessen sollst oder ins Bett gehen musst. Könntest du nicht eine Art Kinderwutanfall
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