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Vergeben, nicht vergessen

Titel: Vergeben, nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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ausdenken. Er war besser, wenn er einfach den Mund aufmachte und die Geschichte sich ganz spontan entwickelte.
    Sie saß neben seinem Stuhl am Fenster auf dem Fußboden und zeichnete mit einem seiner Bleistifte. Die nachmittäglichen Schatten wurden länger. Er blickte auf eine Strichfrau mit lockigen Haaren, die einen Drachen hielt, neben ihr ein kleines Mädchen mit einem ebenso großen Drachen, wie sie ihn hatte. Eine gebogene Linie zeigte das Lächeln der Frau, und auch das Mädchen hatte eine gebogene Linie.
    Ihre Mutter hatte ihr also das Drachensteigen beigebracht. Vielleicht, ganz vielleicht nur konnte er sie dazu bekommen, ihm ein Bild von dem Mann oder den Männern zu zeichnen, die sie entführt hatten, und davon, was sie ihr angetan hatten. Doch er schreckte davor zurück. Er war kein Psychologe. Er wollte unbedingt vermeiden, die Sache noch weiter zu verschlimmern.
    »Es ist an der Zeit, das Abendessen zu machen. Hast du Hunger, Kleines?«
    Sie nickte begeistert und räumte die Blätter und die drei Bleistifte zusammen, die er ihr gegeben hatte. Sie legte sie vorsichtig auf den Couchtisch und arrangierte die Seiten genauso ordentlich, wie er es selbst auch getan hätte. Dann streckte sie ihm ihre Hand entgegen.
    Er nahm ihre Hand und betonte, wie gut sie ihm auf die Beine helfen konnte. Sein Bein schmerzte höllisch, was allerdings nicht verwunderlich war. Das leichte Fieber war verflogen. Die Wunde war noch geschwollen und fühlte sich bei der Berührung warm an. Die Haut um die Wunde verfärbte sich allmählich etwas blau. Den Verband jedenfalls würde er nicht noch ein Mal abnehmen. Es war besser, das Bein alleine heilen zu lassen. Wenigstens bis morgen.
    In der Vorratskammer hatten sie nicht mehr viel zu stehen. Morgen musste er entweder Clements Lebensmittelladen aufsuchen und sie dabei erneut in der Öffentlichkeit zeigen. Oder aber er musste den Jeep packen und hier abhauen. Selbst wenn ihm keine Gefahr von den beiden Männern drohte, die er verwundet hatte, würden doch diejenigen, die die beiden beauftragt hatten, jetzt seinen Aufenthaltsort kennen. Ihm war klar, dass er sich augenblicklich mit der Polizei in Verbindung setzen sollte. Vollkommen klar sogar. Ebenso klar aber war ihm, dass er es nicht tun würde, jedenfalls jetzt noch nicht. Er erinnerte sich an das verzweifelte Wimmern, das sie von sich gegeben hatte. Möglicherweise würde sie durchdrehen. Noch schwerer ins Gewicht fiel die offene Frage, wie er sie wieder nach Hause schicken könnte, wenn die Möglichkeit bestand, dass sie von dort erneut entführt werden konnte.
    Nachdem ihm die Gefahr bewusst geworden war, musste er die Berge verlassen. Gerne hätte er seinen Freund Dillon Savich beim Bundeskriminalamt FBI angerufen und ihn um Rat gebeten. Savich würde ihm natürlich raten, das FBI zu verständigen. Vielleicht hatte er auch schon von ihrer Entführung gehört. Seit der Lindbergh-Baby-Entführung Anfang der dreißiger Jahre war das FBI für diese Fälle zuständig. Doch bis er sich mit Savich in Verbindung setzen konnte, war es sein dringlichstes Anliegen, sie in Sicherheit zu wissen. Und das bedeutete - seiner Meinung nach jedenfalls -, sie in seiner Obhut zu lassen.
    Morgen, dachte er, morgen früh würden sie abreisen. Er machte sich in Gedanken eine Liste all der Dinge, die er bis zu ihrer Abfahrt noch würde erledigen müssen.
    Während er eine Dose Gemüsesuppe öffnete, beobachtete er sie dabei, wie sie die Salatblätter in einer großen Schüssel verteilte. Auf ihrem schmalen Gesicht spiegelte sich intensive Konzentration.
    »Möchtest du französisches oder italienisches Dressing?«
    Sie hob die Flasche mit der französischen Salatsoße hoch.
    »Gute Wahl. In deinem Alter mochte ich die auch am liebsten.« Er würde ihr von ihrer Abreise erst dann erzählen, wenn er sie zum Jeep trug.
    Sie legte den Kopf zur Seite. Wieder eine Geste, die auch ihm eigen war. Hatte sie das innerhalb von nur einer Woche von ihm abgeguckt? Er schüttelte den Kopf und lächelte sie an. »Ja, ich war auch einmal so alt wie du. Das ist schon lange her. Aber mach dich nicht darüber lustig, dass ich schon so alt bin.«
    Sie grinste ihn derart unverschämt an, wie es für Kinder ihres Alters typisch war.
    Die Suppe und den Salat aßen sie vor dem Kamin. Am Abend war es nach dem Sonnenuntergang kalt geworden, richtig kalt, fünf Grad vielleicht.
    Ein Kojote heulte.
    Gleich nach Sonnenaufgang entriegelte er die Tür, machte die Kette los und

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