Vergebung
auswendig lernte und danach exakt wiedergab.
Also hatte sie ihr fotografisches Gedächtnis, das sie als Fluch empfand, nicht verloren.
In ihrem Kopf war alles beim Alten.
Sie glaubte sich zu erinnern, dass sie eine Lösung für Fermats Theorem erkannt hatte, aber sie konnte sich einfach nicht mehr entsinnen, wann oder wo.
Das Schlimmste war jedoch, dass sie nicht mehr das geringste Interesse für dieses Rätsel aufbringen konnte. Fermats Theorem faszinierte sie nicht mehr. Das bedeutete nichts Gutes. Genau so tickte sie - ein Rätsel faszinierte sie, aber sobald sie es gelöst hatte, verlor sie das Interesse daran.
Und genau das empfand sie auch für Fermat. Er war nicht mehr das kleine Teufelchen auf ihrer Schulter, das ihre Aufmerksamkeit forderte und ihren Intellekt reizte. Es war nur noch eine platte Formel, Kritzeleien auf einem Blatt Papier, und sie hatte überhaupt keine Lust, sich mit dem Rätsel zu beschäftigen.
Das machte ihr Sorgen. Sie legte den Notizblock beiseite.
Sie sollte jetzt lieber schlafen.
Stattdessen zog sie ihren Palm wieder heraus und ging ins Internet. Nach kurzem Überlegen sah sie sich Dragan Armanskijs Festplatte an, was sie noch gar nicht getan hatte, seit sie den Palm besaß. Armanskij arbeitete mit Mikael Blomkvist zusammen, aber sie hatte es für nicht so dringlich befunden, sich anzuschauen, was er gerade so trieb.
Zerstreut ging sie seine Mails durch.
Da stieß sie auf einmal auf die Sicherheitsanalyse, die David Rosin zu Erika Bergers Haus erstellt hatte. Sie zog die Augenbrauen hoch.
Hinter Erika Berger ist ein Stalker her.
Sie fand eine Mitteilung von einer Mitarbeiterin namens Susanne Linder, die in der vorigen Nacht offensichtlich bei Erika Berger übernachtet und spät ihren Bericht geschickt hatte. Lisbeth warf einen Blick auf die Uhrzeit. In der Mail, die um kurz vor drei Uhr morgens geschickt worden war, stand, dass Erika Berger den Verlust persönlicher Tagebücher, Briefe und Fotos sowie eines Videos höchst privater Natur bemerkt hatte. Die Gegenstände waren aus einer Kommode in ihrem Schlafzimmer gestohlen worden.
Nachdem ich die Sache mit Frau Berger besprochen hatte, waren wir uns einig, dass der Diebstahl in der Zeit erfolgt sein muss, als sie sich im Krankenhaus von Nacka befand, weil sie in eine Glasscherbe getreten war. In diesen circa zweieinhalb Stunden war das Haus unbewacht. Zu jedem anderen Zeitpunkt waren entweder Berger oder David Rosin im Haus, bis der Diebstahl entdeckt wurde.
Das lässt den Schluss zu, dass der Stalker sich ganz in Frau Bergers Nähe aufhielt und beobachten konnte, wie sie von einem Taxi abgeholt wurde, wahrscheinlich auch, dass sie humpelte und einen verletzten Fuß hatte. Daraufhin ging er in ihr Haus.
Lisbeth verließ Armanskijs Festplatte und schaltete nachdenklich den Palm aus. Ihre Gefühle waren zwiespältig.
Sie hatte keinen Grund, Erika Berger zu lieben. Noch immer erinnerte sie sich an die Erniedrigung, als sie Erika vor anderthalb Jahren am Tag vor Silvester mit Mikael Blomkvist auf der Hornsgatan hatte verschwinden sehen.
Noch nie in ihrem Leben war sie sich so einfältig vorgekommen, und sie würde nicht zulassen, dass sie so etwas noch einmal empfinden musste.
Sie erinnerte sich an den irrwitzigen Drang, den beiden hinterherzurennen und Erika Berger wehzutun.
Wie peinlich.
Aber jetzt war sie geheilt.
Nach einer Weile überlegte sie, was wohl auf Bergers Video höchst privater Natur zu sehen war. Sie hatte selbst ein Video höchst privater Natur, das zeigte, wie Nils Lustgreis Bjurman sich an ihr vergriff. Und das war jetzt in Mikael Blomkvists Händen. Sie fragte sich, wie sie wohl reagiert hätte, wenn jemand bei ihr eingebrochen wäre und den Film gestohlen hätte. Was Mikael Blomkvist ja auch getan hatte, wenn auch nicht in der Absicht, ihr zu schaden.
Hmm.
Knifflige Angelegenheit.
Es war Erika Berger unmöglich, in der Nacht auf Freitag Schlaf zu finden. Sie hinkte rastlos im Haus auf und ab, während Susanne Linder ein wachsames Auge auf sie hatte. Erikas Angst erfüllte das Haus wie dichter Nebel, der in jede Ritze drang.
Frühmorgens gegen halb drei konnte Susanne Linder sie schließlich davon überzeugen, sich ins Bett zu legen und auszuruhen, auch wenn sie nicht schlafen konnte. Als Erika Berger ihre Schlafzimmertür hinter sich schloss, seufzte Susanne Linder tief auf. Sie klappte ihren Laptop auf und fasste die Geschehnisse in einer Mail an Dragan Armanskij zusammen. Kaum hatte sie
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