Vergebung
nicht in meine Wohnung und schläfst da?«, fragte er.
»Hallo, Mikael«, entgegnete sie. »Christer hat es mir schon gesagt.«
Sie wollte etwas erwidern, aber er beugte sich zu ihr hinab und küsste sie auf die Wange.
»Bist du böse auf mich?«
»Wahnsinnig«, erwiderte er lakonisch.
»Es tut mir leid. Aber zu diesem Angebot konnte ich einfach nicht Nein sagen. Trotzdem kommt es mir so vor, als würde ich euch im Stich lassen.«
»Ich bin wahrscheinlich nicht derjenige, der das Recht hat, dich zu kritisieren. Vor zwei Jahren bin ich einfach abgehauen, und das in einer Situation, die viel brenzliger war als die jetzige.«
»Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Du hast nur eine Pause gemacht. Ich höre endgültig auf und hab euch das verheimlicht. Es tut mir so leid.«
Er streckte die Hand aus und zerzauste ihr mit einer freundschaftlichen Geste die Haare.
»Dass du in diesem Irrenhaus aufhören willst, verstehe ich ja, aber dass du Chefin der knochentrockensten Altherrenzeitung Schwedens werden willst, da muss ich erst mal drüber wegkommen.«
»Da arbeiten eigentlich ziemlich viele Frauen.«
»Na und? Guck dir doch bloß mal ihre Leitartikelseite an. Ist doch von vorn bis hinten von anno dazumal. Du musst wirklich eine verrückte Masochistin sein, wenn du da arbeiten willst. Wollen wir rausgehen und irgendwo einen Kaffee trinken?«
Erika setzte sich auf.
»Ich muss wissen, was gestern Nacht in Göteborg passiert ist.«
»Ich sitze grade an der Story«, sagte Mikael. »Aber wenn wir die veröffentlichen, dann wird die Hölle los sein.«
»Nicht wir. Ihr.«
»Ich weiß. Wir werden das Ganze parallel zum Prozess veröffentlichen. Ich nehme ja nicht an, dass du vorhast, die Sache zur SMP mitzunehmen. Aber ich will, dass du noch etwas über die Zalatschenko-Geschichte schreibst, bevor du bei Millennium aufhörst.«
»Micke, ich …«
»Dein letzter Leitartikel. Du kannst ihn schreiben, wann du Lust hast. Wahrscheinlich wird er nicht vor der Gerichtsverhandlung erscheinen, wann auch immer die stattfinden wird.«
»Vielleicht ist das keine so gute Idee. Wovon soll er denn handeln?«
»Von Moral«, erklärte Mikael Blomkvist. »Und davon, dass einer unserer Mitarbeiter ermordet wurde, weil der Staat vor fünfzehn Jahren seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.«
Mehr brauchte er nicht zu erklären. Erika Berger wusste genau, was für ein Leitartikel ihm vorschwebte. Sie überlegte kurz. Sie hatte die Zeitschrift ja mehr oder weniger allein geleitet, nachdem Dag Svensson ermordet worden war. Plötzlich war ihr wieder viel leichter ums Herz.
»Okay«, versprach sie. »Der letzte Leitartikel.«
4. Kapitel
Samstag, 9. April - Sonntag, 10. April
Am Samstagmittag um ein Uhr hatte sich die Staatsanwältin Martina Fransson in Södertälje endlich einen Überblick über die Situation verschafft. Der Waldfriedhof in Nykvarn war eine grauenhafte Geschichte, und seit dem Mittwoch, als Paolo Roberto seinen Boxkampf im dortigen Lagergebäude bestritten hatte, waren bei der Kriminalabteilung Unmengen von Überstunden angehäuft worden. Hier waren gleich mehrere Verbrechen im Spiel: Mindestens drei Morde an den Personen, die dort begraben worden waren, die Entführung und schwere Körperverletzung von Miriam Wu sowie Brandstiftung. Mit Nykvarn wurden auch die Ereignisse in Stallarholmen im Polizeidistrikt Strängnäs in Verbindung gebracht, bei denen Carl-Magnus Lundin vom Svavelsjö MC eine Schlüsselrolle gespielt hatte. Lundin lag derzeit mit Gipsbein und geschientem Kiefer im Krankenhaus in Södertälje. In diesem Fall oblagen sämtliche Verbrechen der Bezirkspolizei, was bedeutete, dass Stockholm das letzte Wort haben würde.
Am Freitag war über die Untersuchungshaft beschieden worden. Lundin konnte mit Sicherheit mit Nykvarn in Verbindung gebracht werden. Schließlich war geklärt worden, dass das Lager der Firma Medimport gehörte, deren Eigentümerin eine gewisse Anneli Karlsson war, 52 Jahre alt und wohnhaft in Puerto Banus in Spanien. Sie war eine Cousine von Magge Lundin, hatte keinerlei Vorstrafen und schien bei der ganzen Geschichte allenfalls die Rolle eines Strohmanns gespielt zu haben.
Martina Fransson klappte den Ordner mit den Unterlagen der Voruntersuchung zu. Man steckte noch in den Anfängen, es würden also noch mehrere hundert Seiten hinzukommen, bis man für den Prozess bereit war. Doch sie musste schon jetzt über gewisse Fragen entscheiden. Sie sah die Kollegen von der Polizei
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