Vergeltung am Degerloch
höchstwahrscheinlich ein Sexualtäter«, sagte ich bissig. »Also interessiert er, und zwar doppelt.«
»Gibt es dafür denn irgendwelche Anhaltspunkte?«, erkundigte sich Marie.
»Ja«, log ich. Ich weiß nicht, was mich bewog, so hoch zu pokern.
Marie runzelte die Stirn. »Welche?«
»Eines ist doch völlig klar«, sagte ich. »Diese Anwältin Beltz, die du besorgt hast, wird auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren und nicht auf Notwehr. Gabi wird in der Psychiatrie verschwinden. Selbst dann, wenn wir beweisen könnten, dass Uwe schon früher Frauen auf der Straße bedroht hat.«
Marie senkte die Augen. Helga stierte vor sich hin. Bettina kritzelte Figuren auf den Deckel ihrer Mappe. Brigitte starrte mich an. Marion blinzelte zwischen uns und Martha hin und her und fragte stumm, ob wir das denn ausgerechnet jetzt besprechen mussten. Martha stellte frischen Kaffee hin. Plötzlich hatte ich die Vorstellung, dass Gabi verschwinden sollte. Niemand wollte sie zurückhaben. Am wenigsten die Mutter. Aber auch Marie nicht, denn nur so blieb Gabi eine Story über Männerjustiz, die Marie mir über kurz oder lang wegnehmen würde. Ich wünschte mir Louise herbei. Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse.
»Na denn«, sagte ich und stand auf. »Meine Herren, die Beerdigung ruft. Bleibt nur noch festzuhalten: Lieber doof sein als Gabi heißen.«
Die Damen blickten mich an, als hätte ich auf den Tisch gekackt.
Ich befreite Emma aus dem Parkverbot in der Eberhardstraße.
Das Gediesel ins Stadtzentrum am verkaufsoffenen Samstag war enorm. Sie stauten sich die Weinsteige herab. Krk wartete auf dem Parkplatz vor dem Gebäude des Stuttgarter Anzeigers oben auf dem platten Land. Er staunte nicht schlecht, als er zu mir aufs rote Leder rutschte. Oder ich bil dete mir das nur ein. Wertlosigkeit war nicht immer ein Zei chen von Verblüffung. Krk schleppte schwer an einer Kameraausrüstung.
»Kann sich der Anzeiger keinen richtigen Fotografen leisten?«, erkundigte ich mich.
»Ich bin der Fotograf.«
»Dafür schreiben Sie aber zu viel.«
»Ich bin eben ein Allroundtalent.«
Die Fahrt zum Anzeiger hinauf, der hinter dem Fernsehturm auf den Fildern mit Ausblick auf den Flughafen und ein verregnetes Nichts von Landschaft, das sich bis zur Schwäbischen Alb hinzog, seine Pressefreiheit sicherte, hatte mich zwanzig Minuten gekostet. Ich bretterte durch Möhringen, auch so ein Kuhdorf mit Ladenstraße, nach Vaihingen, dessen Kern von der Obstsaftfertigung und einer Brauerei beherrscht wurde, auf die Autobahn nach Böblingen. Ein nicht mehr ganz frisches Cabrio war im Winter etwas zugig. Krk zerbiss Vitamin-C-Bonbons.
»Haben Sie heute schon Zeitung gelesen?«, fragte ich.
»Wird ’ne ganze Menge Presse auf der Beerdigung sein, schätze ich«, sagte er. »Müssen Sie so rasen?«
»Schreiben Sie den Artikel?«
»Vermutlich. Vorsicht! Da vorn …« Krk rammte den Fuß auf eine imaginäre Bremse, als ich hupend auf der Mittelspur zwischen einer Kolonne Limousinen auf der linken und einem Konvoi Lastwagen auf der rechten Spur hindurchpreschte.
»Was haben Sie denn noch groß zu verlieren«, sagte ich, während ich Emma unters Heck eines Sattelschleppers abbremste. Der Truckerkapitän hinter mir ließ die Lichthupe springen. »Als Alkoholiker schonen Sie sich ja auch nicht.«
»Aber dann bin ich wenigstens selbst schuld, wenn …«
»Keine Angst«, sagte ich. »Frauen bringen selten Männer um. Und sie fahren besser: weniger Risiko, weniger Unfälle.«
Krk versuchte, sarkastisch zu lachen.
Ich quietschte bei Böblingen Ost auf die Abfahrt und überrundete rechts einen ortsunkundigen Opel, der sich auf der linken Spur entlangzögerte. An der nächsten Ampel bog ich in die Panzerstraße ab, die reif- und laubglatt durch einen grauen Wald schnürte. Einst war der Kopfsteinpflasterdamm zur amerikanischen Kaserne Zentrum schönster Schauergeschichten gewesen. Frauen, die in finsterer Nacht angehalten hatten, um nach einer heruntergefallenen Zigarette zu suchen, und dabei die Tür geöffnet hatten, fanden heimgekehrt eine abgeschlagene Männerhand unterm Sitz und so weiter.
Kurz vor der Panzerkaserne wies ein Schild zum Alten Friedhof. Die Straße sauste steil in den Ort, geflankt von Geschwindigkeitsblitzern. Der Friedhof lag an der Martin-Luther-Kirche mitten im Wohngebiet. Er besaß eine klassizistische Kapelle und einige trauernde Engel. Entlang der Straße parkten Autos. Ich witterte die Journaille, ehe ich sie
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