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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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lang, ihre Augen etwas zu schmal, und sie war ein wenig zu füllig. Sie würde dankbar sein für ein bisschen persönliche Aufmerksamkeit von einem gutaussehenden Typen wie Sam. Und Sam wusste genau, dass er mit einer Charmeoffensive alles Mögliche erreichen konnte. Für Kevin war es auf jeden Fall Zeit, in den Hintergrund zu treten.
    »Studieren wird ja offenbar jedes Jahr schwieriger«, sagte Sam mit einer Stimme, die so tröstlich war wie heiße Schokolade an einem kalten Tag. »Die Studiengebühren werden erhöht und die Miete steigt, es gibt Ärger, wenn der Dispo überzogen ist.«
    »Wem sagen Sie das?«, seufzte Siobhan.
    »Ich weiß nicht, wie ihr das schafft, besonders mit der Arbeit an der Diss.« Sam klang, als täte sie ihm furchtbar leid.
    Siobhan drehte sich zu ihm um und lehnte sich an den Tisch, während sie wartete, bis das Wasser kochte. Ihre dünne Strickjacke war von einer Schulter herabgerutscht, wo die nicht besonders gut ausgeführte Tätowierung einer Drossel erschien. »Ich arbeite an vier Abenden der Woche, räume Supermarktregale ein«, erzählte sie. »Am Freitagnachmittag trage ich die Stadtteilzeitung aus. Und jeden Monat muss ich schließlich doch meinen Dad um einen Fünfziger bitten, damit ich die Miete zahlen kann.«
    »Sie haben Glück, dass Sie einen Vater haben, der sich den extra Fünfziger pro Monat leisten kann. Viele Leute können heutzutage nicht so viel entbehren«, sagte Sam.
    »Er ist toll, mein Vater. Ich hoffe, dass ich es ihm eines Tages zurückzahlen kann.«
    Wenn er alt und krank ist und jemanden braucht, der ihm das Essen gibt und die Windeln wechselt, dachte Kevin. Dann wird er auf die Rückzahlung hoffen. Wetten wir, dass du dann nicht so eifrig sein wirst, Siobhan? Doch er schwieg und überließ Sam das Reden.
    »Und Leanne?«, fragte Sam. »Was hat sie getan, um über die Runden zu kommen?«
    Siobhan wandte sich plötzlich ab, das kochende Wasser ersparte ihr die Antwort. »Wie nehmen Sie den Tee?«, fragte sie betriebsam.
    »Wir nehmen beide Milch, keinen Zucker«, antwortete Sam, der sich in Bezug auf Kevin nicht sicher war, aber das war ihm im Augenblick egal. Denn er wollte das Gespräch weiter in Gang halten, besonders da Siobhan versuchte, ihm auszuweichen. »Also, zu Leanne. Hat sie auch zusätzlich gearbeitet? Oder hat ihre Familie sie unterstützt?«
    Betont geschäftig machte sich Siobhan an das Herausnehmen der Teebeutel und das Eingießen der Milch, dann stellte sie die Tassen mit Schwung vor den beiden Polizisten ab. »Hier, bitte. Frisch aufgebrühter Yorkshire Tee. Unschlagbar.« Ihr Lächeln war beträchtlich dünner als der Tee.
    »Wie lange kennen Sie Leanne schon?«, fragte Sam und gab damit die Frage, die sich als zu schwierig erwiesen hatte, zunächst auf. Er würde später darauf zurückkommen, ließ Siobhan aber für jetzt in dem Glauben, sie hätte gewonnen.
    »Etwas mehr als anderthalb Jahre. Wir studieren beide am Institut für Moderne Sprachen. Sie Spanisch, ich Italienisch. Weil sie schon zum Grundstudium hier in Bradfield war, hatte sie sich diese Wohnung gesichert und suchte Mitbewohner. Sie wollte andere Doktoranden, keine Erstsemester.« Siobhan nippte an ihrem Tee und blickte Sam über den Rand des Bechers an. »Die unteren Semester wollen doch nur trinken und Party machen. Wer schon weiter ist, nimmt die Sache ernster. Es kostet uns so viel Geld, da strengen wir uns an mit dem, was wir tun. In meinem ersten Semester in Exeter hat einer von den Krachmachern in meinem Studentenheim tatsächlich auf meinen Laptop gekotzt. Als ich mich beschwerte, hat er mich eine blöde Unterschichtenschlampe genannt. Ehrlich gesagt, sollte man sich von solchen Wichsern so weit wie möglich fernhalten.«
    Jetzt redete sie zu viel und versuchte, Sam daran zu hindern, zu den schwierigen Fragen zurückzukehren. »Klar«, sagte er. »Sie und Leanne haben sich also gut verstanden?«
    Siobhan verzog das Gesicht, während sie nachdachte. »Ich würde nicht sagen, dass wir befreundet waren. Wir hatten eigentlich nicht viel gemeinsam. Aber wir kamen miteinander aus. Natürlich. Ich meine, wir wohnen ja schon das zweite Jahr zusammen.«
    »Und die anderen beiden? Wohnen die auch schon so lange hier wie Sie?«
    »Jamie und Tara? Na ja, Tara ist zur gleichen Zeit wie ich eingezogen. Dann, ungefähr sechs Monate später, fragte sie, ob Jamie bei ihr wohnen könnte. Sie sind seit drei Jahren zusammen, und er mochte die Leute nicht, bei denen er wohnte. Und

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