Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
ich schon mehrmals Stress hatte, weil ich zu schnell gefahren war, aber mich jedes Mal irgendwie rausreden konnte. Er erzählte dann von dem ersten Urlaub, den sein Vater nach dem Wegzug der Mutter mit ihm und Davy gemacht hatte und der besonders toll werden sollte. Doch am Ende froren sie sich beim Zelten wegen eines Schneesturms fast den Hintern ab, waren alle mit den Nerven total am Ende und verbrachten schließlich den Rest des Urlaubs mit Fastfood vor dem Fernseher im Motel. Dabei fiel mir unser letztes Weihnachten ein, als wir in St. Maarten waren und dort jeden Tag Dauerregen hatten, während Warren so ungeduldig auf seine Uni-Zulassung wartete, dass er sogar versuchte, unseren Briefträger anzurufen, und meine Mutter kurzerhand sein Handy konfiszierte. Dann redeten wir über Musik, und er war beleidigt, als ich seinen Hang zu barfuß auftretenden Liedermachern »ökologisch wertvoll« nannte, während er sich darüber lustig machte, dass ich die Namen aller drei Bentley Boys auswendig kannte, obwohl das ja eigentlich nur Gelseys Schuld war. Irgendwann gingen wir zum Imbisstratsch über – offenbar war er genau darüber im Bilde, dass Elliot seit ein paar Wochen total in Lucy verknallt war, es aber aufgegeben hatte ihn zu motivieren, endlich mal aktiv zu werden, weil Elliot ihm permanent versicherte, dass er schon längst dabei war und sogar schon einen Plan hatte – komplett mit Flussdiagramm.
Während des Gespräches wurde mir klar, wie eng wir als Kinder befreundet waren. Das merkte ich daran, wie gut er zuhörte und nicht gleich mit einer eigenen Geschichte dazwischenplatzte, sondern sich seine Worte gut zurechtlegte und nichts Unbedachtes sagte. Oder an seiner Art zu lachen – was er zwar nicht sehr oft tat, aber wenn, dann umso herzlicher, sodass ich ihn um jeden Preis immer wieder dazu bringen wollte. Wenn ihm etwas am Herzen lag, wie beispielsweise sein Faible für den Wald, dessen System er so unglaublich genial fand, dann verteidigte er es leidenschaftlich und überzeugte mich damit im Handumdrehen.
Je später es wurde, desto längere Pausen entstanden zwischen unseren Berichten. Irgendwann saßen wir einfach nur noch schweigend da, genossen die Stille und sahen hinaus auf das Wasser, bis am Horizont der erste Streifen des Tageslichts auftauchte.
Da verabschiedeten wir uns voneinander und machten uns auf den Heimweg. Als ich mich durch die Küche ins Haus schlich, stellte ich verblüfft fest, dass es schon fünf Uhr morgens war. Auf dem Weg in mein Zimmer war ich felsenfest davon überzeugt, dass ich sofort einschlafen würde. Aber als ich mich in meine Decke gekuschelt hatte, fand ich, dass etwas fehlte. Ich ging zu meinem Schrank, nahm den Plüschpinguin heraus und legte ihn neben mich aufs Kissen. Obwohl ich wahrscheinlich kaum geschlafen hatte, störte es mich nicht, als mein Vater mich um acht an den Füßen kitzelte und mit mir frühstücken fahren wollte. Dort kam es mir allerdings so vor, als ob er noch weniger aß als sonst – selbst Angela, der Bedienung, fiel es auf. Trotzdem gingen wir zusammen die neuen Fragen auf den Platzdeckchen durch. (Dabei stellte sich heraus, dass er Angst vorm Achterbahnfahren hatte und auf Ingwer allergisch reagierte.) Nach dem Frühstück holten wir noch mein Fahrrad ab, wo ich es neulich angeschlossen hatte. Dann setzte ich mich ans Steuer und wir fuhren nach Hause. Niemand aus unserer Familie hatte etwas dazu gesagt, dass Dad schon seit ein paar Tagen nicht mehr Auto gefahren war. Kommentarlos war er zur Beifahrerseite des Land Cruisers gegangen und hatte mir den Autoschlüssel überlassen, als ob es das Normalste von der Welt wäre.
Als ich in unsere Einfahrt bog, sah ich Murphy erwartungsgemäß hinter der Verandatür, wo er vor Freude über Dads Rückkehr auf und ab sprang. Überraschend war allerdings, dass Davy Crosby auf der Eingangstreppe saß. Er war wie üblich in T-Shirt, Cargoshorts und Mokassins gekleidet.
»Hallo«, begrüßte ihn mein Vater, als er etwas wackelig aus dem Auto stieg. Ich sah, wie er sofort nach dem Treppengeländer griff und sich schwerfällig dagegenlehnte. Dabei lächelte er Davy an.
»Hallo«, antwortete Davy und gab meinem Vater die Hand, der sie freundlich schüttelte. »Ich bin Davy Crosby und wohne nebenan. Also, ich wollte sie nämlich mal was fragen.«
»Na, unbedingt«, sagte Dad. Davys Schuhe entlockten ihm ein Lächeln. »Schicke Mokassins, mein Junge.« Dann nickte er in Richtung Haus. »Hat dir keiner
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