Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
»Soll ich dir deinen Laptop bringen, Dad?«
»Ja, gerne«, antwortete mein Vater und widmete sich dem Kreuzworträtsel. Ich war unendlich erleichtert, dass er das Thema offenbar nicht weiter vertiefen wollte, stand auf und wollte gerade hineingehen, damit mein Vater weiter an seinem geheimnisvollen Projekt arbeiten konnte. »Weißt du«, sagte er, als ich schon die Hand am Türknauf hatte. Als ich mich zu ihm umdrehte, sah ich, dass er immer noch so komisch lächelte. »Das Flurfenster oben zeigt genau zum Steg.«
Meine Hand umschloss den Türknauf fester. »Ach ja?«, antwortete ich betont locker, obwohl er mir genau genommen ja nichts vorzuwerfen hatte. Was sollte schon so dramatisch daran sein, sich nachts um drei aus dem Haus zu schleichen, wenn das Ziel gleich hinter dem Haus lag.
»Hmmm«, machte mein Vater, scheinbar immer noch ganz in seine Zeitung vertieft. Einen Moment später schaute er jedoch lächelnd auf und sagte: »Wie gesagt, er ist offenbar ein netter Kerl.«
Wieder glühten meine Wangen. »Ah, der Laptop«, sagte ich, so souverän ich konnte, und hörte beim Hineingehen meinen Vater auflachen. Und auch ich musste vor mich hin grinsen, als ich den Laptop vom Sofa holte, wo er zum Aufladen gelegen hatte.
Kapitel 28
»Du kriegst das schon hin«, versuchte Lucy mich zu beruhigen. Sie schaute zu Elliot, der schon wieder seine unvermeidlichen Karten mischte, und als er ihr nicht augenblicklich beipflichtete, schlug sie ihm derb auf den Arm. »Stimmt’s?«
»Aua«, jaulte er auf. »Ja … äh klar, ’türlich kriegst du das hin. Tausendmal besser als beim letzten Mal. Was wir aber lieber nicht … erwähnen wollen«, brachte er den Satz zu Ende, als er Lucys vernichtenden Blick bemerkte. Dann grinste er mich breit an, hielt den Daumen nach oben, und mir krampfte sich der Magen zusammen. Das Kino unterm Sternenzelt fing gleich an und keiner meiner Kollegen war bereit, mir die Einführung abzunehmen. Lucy hatte gerade einen Ratgeber von einer prominenten Ex-Fernsehmoderatorin ausgelesen, die immer wieder betonte, man müsse »seinen Dämonen ins Auge sehen«. Ich hatte einige ihrer Sendungen gesehen und erinnerte mich, dass dabei kein Auge trocken blieb, aber dieses Argument brachte bei Lucy gar nichts. Und wenn Lucy einmal von etwas überzeugt war, würde Elliot bestimmt nicht widersprechen, so viel war klar. Trotzdem hatte ich es geschafft, dass er versicherte mich zu retten, sollte ich wieder mit Pauken und Trompeten versagen.
Die Tage bis zur Filmnacht vergingen wie im Fluge: Frühstück und Fragen mit meinem Vater, Arbeit mit Lucy und Elliot, und Abendessen auf der Veranda mit meiner Familie – der inzwischen übliche Alltag. Neu hinzugekommen war Henry. Wie sich herausstellte, waren unsere Arbeitszeiten fast identisch. An dem Tag nach unserer Begegnung auf dem Steg holte er mich ein, als ich mit einem Becher Kaffee in der Hand nach Hause radelte. Obwohl wir während der Fahrt nicht viel redeten (ich war immer noch dabei, mir Fahrrad-Kondition anzutrainieren und musste mir meine Puste gut einteilen, damit ich in der Teufelssenke nicht wieder schlapp machte), war mir seine Gesellschaft sehr angenehm. Am nächsten Morgen holte ich ihn dann ein und seitdem radelten wir immer zusammen zur Arbeit. Lange Gespräche auf dem Steg hatte es nicht noch mal gegeben, obwohl ich mich dabei ertappte, wie ich abends vor dem Schlafengehen mehrmals nachsah – um sicherzugehen, dass nicht vielleicht doch jemand draußen war. Und obwohl ich wusste, dass sie das sehr interessieren würde, hatte ich Lucy nichts davon erzählt. Schließlich hatte er ja eine Freundin. Und ich war nicht scharf drauf, dass ihm über Umwege zugetragen wurde, ich wäre durchaus wieder an ihm interessiert. Zumal ich mir da noch nicht mal so sicherwar – was es noch viel sinnloser machte, sich damit zu beschäftigen.
Und davon ganz abgesehen sprang jedes Mal, wenn ich bei der Arbeit anfing, Löcher in die Luft zu starren und über Henry nachzugrübeln, ein Sensor in meinem Kopf an, der mich daran erinnerte, was wirklich zählte. Zum Beispiel was mit meinem Vater los war. Das durfte ich nicht vergessen, selbst wenn Dad die nervige Angewohnheit entwickelt hatte, mich ständig mit wissendem Lächeln gezielt nach Henry auszufragen. Aber nichts von alledem war im Moment so präsent wie die Tatsache, dass ich wahrscheinlich gerade auf dem besten Wege war, mich vor fünfzig Leuten zum zweiten Mal komplett zu blamieren.
»Tja, weißt du«,
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