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Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Titel: Vergiss den Sommer nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morgan Matson
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weg. Ich würde den Rückweg finden. Ich musste nur ganz überlegt rangehen und durfte nicht in Panik verfallen.
    Als es hinter mir knackte, zuckte ich zusammen, und mein Herz hämmerte noch schneller als vorher. Ich drehte mich um und hoffte inständig, dass es nur ein Eichhörnchen oder noch besser ein Schmetterling war – auf jeden Fall bitte kein Bär. Doch da stand ein Junge vor mir, schätzungsweise so alt wie ich. Er war ziemlich dünn, hatte aufgeschrammte Knie und wirre dunkelblonde Haare. »Hi«, sagte er und hob lässig die Hand.
    »Hi«, antwortete ich und musterte ihn genauer. Obwohl ich eigentlich alle Kinder kannte, deren Familie ein Haus in Lake Phoenix hatte (die meisten von uns kamen schon seit ihrer Geburt jedes Jahr hierher), konnte ich ihn nicht zuordnen.
    »Hast du dich verlaufen?«, fragte er. Obwohl er das nicht spöttisch sagte, merkte ich, wie ich rot wurde.
    »Nee«, antwortete ich und verschränkte die Arme. »Ich geh nur spazieren.«
    »Hast aber so ausgesehen«, meinte er in demselben neutralen Tonfall. »Weil du dich immer im Kreis gedreht hast.«
    »Hab ich aber nicht«, fuhr ich ihn an. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und ihm dabei meine Haare ins Gesicht geschleudert. Die Heldin in dem Buch, das ich gerade las, machte das andauernd, und ich wartete schon lange auf eine Gelegenheit, es auch mal zu versuchen – obwohl ich noch nicht so genau wusste, wie ich das eigentlich anstellen sollte.
    Er zuckte die Schultern und sagte: »Okay.« Dann machte er kehrt und ging in die entgegengesetzte Richtung weiter. Nachdem er einige Schritte gegangen war, rief ich ihm verzweifelt nach: »Warte!«
    Dann lief ich los, und er wartete, bis ich ihn eingeholt hatte. »Vielleicht hab ich mich ja wirklich ein bisschen verlaufen«, gab ich zu, als ich bei ihm ankam. »Ich will zurück Richtung Dockside. Oder wenigstens zu irgendeiner Straße. Von dort aus finde ich mich dann zurecht.«
    Er zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, wo das sein soll«, meinte er. »Aber wenn du willst, kann ich dir den Weg zu der Straße zeigen, wo ich wohne. Die heißt, glaub ich, Hollyhock.«
    Wo das war, wusste ich ganz genau – allerdings brauchte man von dort aus zehn Minuten mit dem Fahrrad bis zu uns. Jetzt merkte ich erst, wie heillos falsch ich gelaufen war. »Bist du grad erst hergezogen?«, wollte ich wissen und passte mich seinem Lauftempo an. Er war ein bisschen kleiner als ich, und bei genauerem Hinsehen sah ich, dass er Unmengen von Sommersprossen auf seiner Nase und den Wangen hatte.
    »Ja, heute Nachmittag«, bestätigte er nickend.
    »Woher willst du denn dann so genau den Weg wissen?«, fragte ich und merkte, wie ich mich wieder panisch anhörte und auch so fühlte. Waren wir jetzt schon zwei, die den Weg nicht mehr fanden? Würden wir als Abendessen für die Bären enden?
    »Ich kenn mich aus im Wald«, antwortete er wieder ganz gelassen. »Hinter unserem Haus in Maryland gibt es auch einen. Man muss nur auf bestimmte Orientierungspunkte achten. Dann findet man immer wieder raus, egal wie sehr man sich verlaufen hat.«
    »Aha.« Das klang für mich reichlich unwahrscheinlich.
    Darüber musste er lächeln. Dabei sah ich, dass seine Schneidezähne genauso schief waren wie die von Warren, bevor er seine Spange bekommen hatte. »Stimmt aber«, bekräftigte er. »Siehst du?« Er zeigte durch eine Lücke zwischen den Bäumen, hinter denen ich zu meinem großen Erstaunen die Straße sah, auf der Autos hin und her fuhren.
    »Wow«, seufzte ich erleichtert. »Ich dachte, ich würde hier nie wieder rausfinden und zu Bärenfutter werden. Danke schön!«
    »Kein Problem«, antwortete er schulterzuckend. »War ja nicht so schwer.«
    Er dachte gar nicht daran, damit anzugeben oder überheblich zu tun oder sich lustig zu machen, dass ich ihn erst angelogen hatte und dann doch auf seine Hilfe angewiesen war. Und als ich in seine ehrlichen grün-braunen Augen sah, war ich ziemlich froh, dass ich ihm nicht meine Haare ins Gesicht geschleudert hatte. »Ich heiße übrigens Taylor.«
    »Ich bin Henry«, antwortete er und lächelte mich an.

Kapitel 34
    Am nächsten Tag kam mein Vater wieder aus der Klinik, doches war klar, dass wir nicht zu der Pseudo-Normalität zurückkehren konnten, die wir uns eingerichtet hatten. Seine Ärzte bestanden darauf, ihn medizinisch überwachen zu lassen. Außerdem würde er bald Hilfe brauchen, die wir nicht mehr leisten konnten. Damit er wieder nach Hause entlassen wurde, lautete daher

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