Vergiss die Toten nicht
ich würde jetzt keinen Bissen herunterbringen. Wir holen es bald nach, Ehrenwort. Sicher dauert es nicht mehr lange, bis ich über diese Dinge sprechen kann«, meinte sie.
Nachdem er fort war, ging Nel ins Schlafzimmer und öffnete Adams Wandschrank. Das marineblaue Sakko, in dem er aus Philadelphia zurückgekehrt war, befand sich noch auf dem Bügel, wo sie es an jenem Morgen aufgehängt hatte. Offenbar habe ich Winifred das andere mitgegeben, als sie am Freitagnachmittag kam, dachte sie. Es sah genauso aus wie das hier, nur dass es Silberknöpfe hatte. Dann ist es also das Letzte, was er vor seinem Tod getragen hat.
Nel nahm das Sakko vom Bügel und schlüpfte hinein.
Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass es sie trösten würde, so, als legten sich Adams Arme um sie. Doch stattdessen fühlte sie sich auf unheimliche Weise fremd und erinnerte sich an den heftigen Streit an jenem Morgen, den Grund, warum er ohne Sakko aus dem Haus gestürmt war.
Dennoch behielt sie es an und lief unruhig im Zimmer auf und ab. Dabei nahm ein unwillkommener Gedanke immer mehr Gestalt an. Schon seit Monaten war Adam nervös gewesen.
Hatte ihn – abgesehen von den Schwierigkeiten, die die Gründung einer Firma eben so mit sich brachte – noch etwas anderes belastet? War es möglich, dass er in Dinge verwickelt gewesen war, von denen sie nichts ahnte? Hatte er Grund gehabt, sich vor den polizeilichen Ermittlungen zu fürchten?
Kurz blieb sie stehen und wägte die Dinge gegeneinander ab, die Mac ihr erzählt hatte. Dann schüttelte sie den Kopf. Nein, nein, ich weigere mich, das zu glauben, sagte sie sich.
Donnerstag, 15. Juni
23
N
ach dem Anruf seines Partners, er habe am Vortag einen Mann am Pier aufgegriffen und ihn zum Verhör mitgenommen, fuhr Jack Sclafani sofort nach Manhattan zu George Brennan.
»Ich finde, es geht zu glatt auf«, meinte Brennan. »Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wäre dieser Typ nicht nur der Täter, sondern hätte auch noch seelenruhig rumgesessen und gewartet, bis wir ihn abholen kommen.«
Er gab Jack Jed Kaplans Kurzbiographie: »Achtunddreißig Jahre alt, aufgewachsen in Manhattan, drüben an der Ostseite in Stuyvesant Town, 14. Straße. Immer in Schwierigkeiten. An seine Jugendstrafen kommen wir nicht heran. Doch als Erwachsener hat er ein paar Mal wegen Wirtshausschlägereien kurze Haftstrafen auf Rykers Island abgesessen. Offenbar kann er wirklich unangenehm werden, wenn er betrunken ist oder Drogen nimmt.«
Angewidert schüttelte Brennan den Kopf und fuhr fort: »Vater und Großvater waren solide Kürschner. Die Mutter ist eine nette Frau. Die Familie besaß ein Haus in der 28. Straße. Vor einem Monat ist Kaplan, der fünf Jahre in Australien verbracht hat, nach New York zurückgekehrt. Nach Aussage der Nachbarn ist er ausgeflippt, als er erfuhr, dass seine Mutter das Haus verkauft hatte.
Offenbar hat er sich am meisten darüber aufgeregt, dass sich das Grundstück inzwischen im Wert verdreifacht hat. Denn die Vandermeer-Villa, ein altes Gebäude gleich nebenan, das unter Denkmalschutz stand, ist im letzten September abgebrannt. Und da ein Haufen Asche nicht mehr unter Denkmalschutz fällt, wurde das Land an Peter Lang verkauft, einen Baulöwen, der, wie du dich sicher erinnerst, eigentlich auch an Bord der Jacht hätte sein sollen, als sie explodierte. Aber er hat den Termin nicht wahrnehmen können, da er auf dem Weg in die Stadt einen Unfall hatte.«
Brennan betrachtete die Schreibtischplatte und griff nach dem Kaffeebecher, dessen Inhalt inzwischen kalt geworden war.
»Adam Cauliff und Lang wollten auf den zusammengelegten Grundstücken einen schicken Häuserblock mit Wohnungen und Büros bauen. Ein Turm sollte genau an der Stelle stehen, wo die Kaplans früher ihre Pelze bearbeitet haben. Der junge Kaplan war außer sich, weil das Grundstück weit unter Wert verkauft worden ist. Also haben wir ein Motiv. Und er hätte auch die Gelegenheit zu der Tat gehabt. Doch das reicht nicht, um ihn zu verhaften und zu verurteilen. Leider nicht, aber es ist zumindest ein guter Anfang. Komm mit. Er sitzt drüben.«
Jack erkannte Kaplan auf den ersten Blick als Kleinkriminellen.
Alles an ihm wies ihn als üblen Kunden aus: der verschlagene Blick, das ständige überhebliche Grinsen und die Art, wie er am Tisch kauerte, als wolle er jeden Moment zuschlagen oder die Flucht ergreifen. Außerdem haftete seiner Kleidung ein leicht süßlicher Haschischgeruch an.
Ich wette, der hat
Weitere Kostenlose Bücher