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Vergissmichnicht

Vergissmichnicht

Titel: Vergissmichnicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Maria Bast
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leise Stimme zu hören, die ihm damals verwundert zugeflüstert hatte, dass es ganz und gar unüblich war, dass ein erwachsener Mensch, der kurz vor der Eheschließung stand, seine eigene Geburtsurkunde noch nie in den Händen gehalten hatte.

Fünfzehntes Kapitel
    Ein unbekannter Ort
    Es war dunkel, kalt und feucht, als Marlene die Augen aufschlug. Stöhnend fasste sie sich an den Kopf. Ihre Kehle fühlte sich trocken und seltsam rau an. Sie registrierte, dass sie lag. Auf einem harten, kalten Boden. Sie roch Moder. Mit einem Mal packte sie rasende Angst. Sie versuchte, sich aufzurappeln und merkte erst in diesem Moment, dass ihre Füße gefesselt waren. Die Hände waren frei. Taumelnd richtete sie sich auf. »Liegenbleiben!«
    Die Stimme klang schneidend und hart und wie ein Peitschenhieb.
    Zitternd sank Marlene zurück auf den Boden. Irgendwoher kannte sie die Stimme, aber sie konnte sie nicht einordnen. »Wer … wer sind Sie?«, brachte sie stotternd hervor.
    »Weißt du das wirklich nicht?« Die Stimme lachte höhnisch. Ein Feuerzeug flammte auf.
    »Sie!«, rief Marlene erstaunt, als sie das Gesicht im Schein des Feuerzeuges schemenhaft erkennen konnte. »Aber warum …«
    »Warum?«, keifte die Stimme. »Du fragst ernsthaft nach dem Warum ?«
    Marlenes Hirn arbeitete fieberhaft. Was hatte sie diesem Menschen getan? Sie war doch immer nett und freundlich gewesen.
    »Du hast alles«, fuhr die Stimme, die seltsam leblos und hohl anmutete, fort. Da war keine Klangfärbung, kaum eine Modulierung im Ton, als sie aufzählte: »Du hast einen netten Mann, der dich liebt, du hast Geld, siehst gut aus, du hast einfach alles. Und trotzdem willst du immer noch mehr haben und musst das Leben von anderen zerstören.«
    Marlenes Verwirrung überdeckte ihre Angst. »Ich verstehe nicht …«, sagte sie. »Wem nehme ich denn was weg? Und wessen Leben zerstöre ich denn, um Gottes willen?«
    »Tu doch nicht so!«, höhnte die Stimme. »Ich habe doch die Briefe gelesen.«
    »Welche Briefe?« Im Geiste ging Marlene alle Briefe durch, die sie in der letzten Zeit geschrieben hatte. Es waren nicht viele gewesen. Und schon gar keine, die dazu führen könnten, dass jemand sie so sehr hasste, wie dieser Mensch es zu tun schien.
    »Allen willst du das Leben zerstören. Niemandem gönnst du etwas«, fuhr die Stimme fort. »Ihr Meierle-Weiber«, die Stimme spie den Namen regelrecht angewidert aus, »ihr Meierle-Weiber habt wohl gedacht, ihr könnt uns das kaputt machen? Jetzt, wo wir endlich unser Glück gefunden haben? Endlich etwas gelten und etwas sein könnten? Aber da habt ihr euch getäuscht, das kann ich euch sagen.«
    Marlene war bei dem Namen ›Meierle‹ zusammengezuckt. Woher wusste ihr Gefängniswärter ihren Mädchennamen? Den kannte hier keiner. Zumindest keiner außer Charles und dem Standesbeamten, der sie seinerzeit getraut hatte. Eine kirchliche Trauung hatte sie abgelehnt, denn sie, die streng katholisch aufgewachsen war, hatte abwechselnd mit Gott gehadert und an seiner Existenz gezweifelt. Wenn es einen Gott gäbe, hatte sie gedacht, dann würde er so etwas nicht zulassen. Und wenn er es zuließe, dann wäre er nicht der Gott, zu dem sie beten, den sie verehren wollte.
    »Ich heiße nicht Meierle, ich heiße Didier«, sagte sie jetzt in die fremde Dunkelheit hinein.
    Höhnisches Lachen war die Antwort und hallte gespenstisch durch den Raum. »Glaub ja nicht, dass du mir etwas vormachen kannst. Ich weiß alles. Verstehst du? Alles! Du hast mein Leben zerstört. Und jetzt, wo endlich, endlich alles gut wird, willst du es mir wieder nicht gönnen. Wieder alles kaputt machen. Ebenso wie deine Mutter. Aber nicht mit mir! Nicht mit mir ! Ich weiß mich zu wehren. Deiner Mutter habe ich mich schon entledigt. Und mit dir werde ich spielend fertig. Spielend! «, spie die Stimme.
    Die Angst flammte erneut auf, wie ein loderndes, alles zerstörendes Feuer. Marlenes Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Die Angst um sich selbst und auch die Angst um die Mutter, die sie seit 31 Jahren nicht gesehen hatte und die sie doch so sehr liebte, nach der sie sich so sehr sehnte, raubte ihr beinah den Atem. Mit einem Mal schämte sich Marlene zutiefst, dass sie ihr damals so hart den Rücken gekehrt hatte. Ihre Mutter war immer für sie da gewesen, ohne sie hätte sie ihre dunkelsten Stunden nie, niemals überstanden. Und was hatte sie zum Dank getan? Jeglichen Kontakt abgebrochen, auf ihre flehenden Briefe und Anrufe nicht reagiert.

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