Verheißung des Glücks
jeden spöttischen Unterton gestellt und Lincoln beantwortete sie realitätsgetreu.
»Das war erst nach meiner Schulzeit. Als Junge kam mir gar nicht die Idee, mir noch ein paar Kenntnisse zu meiner Verteidigung anzueignen. Das war im Grunde auch nicht notwendig. Meine letzten Schuljahre verliefen dank meiner angepassten Aussprache sogar durchaus angenehm.«
»Aber wo hast du dann das Kämpfen gelernt?«
Lincoln zuckte die Achseln. »Anfang zwanzig ließ ich mich in eine ... etwas umtriebige Gruppe junger Männer hineinziehen. Gelegentlich endeten unsere Abende aus lauter Übermut an Orten von ziemlich zweifelhaften Ruf. Da erschien es mir irgendwann klug, für alle Fälle gerüstet zu sein.«
Ein paar der Brüder nickten. Offenbar wussten sie, wovon er sprach. Lincoln und die MacFearsons bemerkten f ast gleichzeitig, dass sie gerade ein recht zivilisiertes Gespräch miteinander führten. Das lag allerdings ganz und gar nicht in der Absicht von Melissas Onkeln. Ian Four bemühte sich, diesem unerträglichen Zustand abzuhelfen.
»Um im Kampf fair zu bleiben, braucht ein Mann echtes Talent und viel Übung. Wenn man aber weder die Intelligenz noch entsprechende Fähigkeiten mitbringt, bleibt einem wohl nichts anderes übrig, als mit schmutzigen Tricks zu arbeiten.«
»Setz dich wieder hin, Line«, sagte Callum, als Lincoln beim Aufstehen fast seinen Stuhl umstieß. »Wenn du die paar läppischen Beleidigungen nicht wegsteckst, dann willst du Meli wohl gar nicht unbedingt heiraten.«
»Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun, du Ochse! Wenn ich erst mit Meli verheiratet bin — und verlass dich darauf, ich werde sie heiraten — höre ich mir solchen ausgemachten Unsinn nicht mehr an.«
»Wenn du es schaffst, sie zu heiraten, musst du das auch nicht mehr«, erklärte Adam. »Dann gehörst du zur Familie und wir behandeln dich wie einen von uns.«
»Auf dieses zweifelhafte Vergnügen verzichte ich gerne«, sagte Lincoln. »Und nun gehe ich, denn ich habe keinen Appetit. Anstatt mich hier mit euch zu streiten, setzte ich mich lieber in mein Zimmer und lache mir einen Ast über eure kläglichen Versuche, mich zu provozieren. Guten Abend, Gentlemen.«
Dreiundvierzigstes Kapitel
Als Melissa zu Bett ging, war sie wütend auf ihren Vater, obwohl sie wusste, was er tat und warum. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte eine Wache vor ihrer Tür aufgestellt, um zu garantieren, dass sie wirklich die ganze Nacht über hübsch in ihrem Zimmer blieb.
Wie zufällig stand Lachlan MacGregor im Korridor, als Melissa den Speisesaal verließ und in ihr Zimmer ging. Da sie nach einer Stunde immer noch wach lag, beschloss sie, wieder aufzustehen und nachzusehen, was die Vorratskammer noch an Essbarem hergab. Ungläubig musste sie feststellen, dass ihr Vater noch immer im Flur stand und sich dort mit einem ihrer Onkel unterhielt. Sie zog den Kopf wieder ins Zimmer, bevor er sie entdeckte.
Trotz ihres Ärgers schlief Melissa irgendwann ein. Doch ihr Schlaf war unruhig und voller Traumfetzen. In den frühen Morgenstunden ließ ein Albtraum sie vollends hochschrecken. Dieser Traum war Melissa wohl vertraut. Schon seit sie denken konnte, suchte er sie in den verschiedensten Formen immer wieder heim. Bilder des Sees von Kregora und des vermaledeiten Drachens, der in seinen Tiefen hockte, raubten ihr in solchen Nächten immer wieder für eine Weile den Schlaf. Meist wachte sie auf, kurz bevor das Ungeheuer sie verschlingen konnte. Diesmal erwachte sie, bevor es Lincoln fraß.
Es war das erste Mal, seit Melissa Lincoln begegnet war, dass sie von dem Drachen träumte. Und zum ersten Mal war Lincoln nun Teil ihres Albtraumes geworden. Melissa wunderte sich nicht darüber. Über die Jahre hatte der Drache schon beinahe ihre ganze Familie und all ihre Freunde vertilgt. Viele sogar mehrmals. Manchmal wachte sie erst schweißgebadet auf, wenn die gewaltigen Kiefer bereits zugeschnappt hatten. In diesem Traum nun hatte Lincoln versucht, sie vor der scheußlichen Kreatur zu retten. Heldenhaft hatte er sich zwischen sie und das Untier geworfen, doch der Drache hatte gesiegt.
Melissa schüttelte die beunruhigenden Bilder ab, wie sie es immer tat. Albträume hielten sie schon lange nicht mehr für den Rest der Nacht wach. Jedenfalls war das seit ihren Kindertagen nicht mehr geschehen. Da Melissa auch keine versteckte Botschaft in diesen Träumen vermutete, erschütterten sie inzwischen allenfalls für ein paar Minuten ihre
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