Verheißung des Glücks
oben? Oder etwa nicht? Ist er vielleicht schon ...«
Ein Poltern aus dem oberen Stockwerk ließ Melissa verstummen. Eilige Schritte folgten.
Es war Lincoln. An der Treppe hielt er einen Augenblick inne und warf einen fragenden Blick auf die Versammlung, die ihn unten in der Halle erwartete. Doch als er Melissa entdeckt hatte, war er im Nu an ihrer Seite.
Sie grinste. »Du willst mich also doch nicht versetzen? Wir machen den Ausritt?«
»Aber selbstverständlich.«
Sie strahlte ihn an, weil er kurzerhand mitspielte und sie nicht erst fragte, wovon sie redete. Dann fasste sie ihn an der Hand und zog ihn zur Tür hinaus. Über die Schulter hinweg winkte sie noch einmal ihrem Vater und ihren Onkeln zu.
»Wir sind in einer Stunde wieder zurück. Oder in drei«, versprach sie. »Jedenfalls irgendwann vor dem Lunch.«
»Davon gehe ich aus, Töchterlein«, sagte Lachlan. Dabei betonte er jede einzelne Silbe. »Du würdest sicher nicht wollen, dass wir uns Sorgen um dich machen.«
Als sie aus der Tür waren, erlaubte Melissa sich ein gequältes Aufstöhnen. »Musste Dad sich denn unbedingt so deutlich ausdrücken?«
»Was hat das alles denn nun zu bedeuten?«, wollte Lincoln jetzt doch wissen.
»Wir machen den Ausritt, den Ian vorgeschlagen hat. Warum wolltest du denn nicht mit?«
»Es war nie die Rede davon, dass du mit uns reiten würdest.«
»Er hat dir aber einen Hinweis gegeben.«
»Den Teufel hat er!«
»Hat er dir nicht gesagt, du würdest den Ritt genießen?«
»Er ... ach, verdammt! Warum rückte er nicht einfach damit heraus, anstatt in Rätseln zu sprechen?«
»Weil er will, dass du ihm vertraust, und das kannst du auch. Er wünscht uns nur das Beste. Also kam er auf die Idee, für dich und mich den Anstandswauwau zu spielen und uns damit die Gelegenheit zu geben, endlich wieder miteinander zu sprechen.«
Lincoln seufzte. »Dafür bin ich Ian auch sehr dankbar. Aber ich bezweifle, dass ich je wieder einem MacFearson wirklich trauen werde, noch nicht einmal ihm.«
»Das kommt schon noch.«
»Wo sie doch ihr Möglichstes tun, um sich zwischen mich und das, was ich mir am meisten wünsche, zu drängen?«
Melissa blieb stehen und schaute Lincoln ernst ins Gesicht. »Wenn ich nicht glauben würde, dass es uns gelingen kann, meine Familie umzustimmen, würde ich vorschlagen, dass wir auf der Stelle davon reiten.«
»Ich wünschte, ich hätte ein wenig von deiner Zuversicht, Melissa. Dann hätte ich vielleicht nicht das Gefühl, langsam verrückt zu werden.«
»Das ist nun wirklich das Letzte, was wir jetzt brauchen können«, schalt sie ihn. »Wir sind hier, um allen Zweiflern zu beweisen, dass sie sich in dir täuschen, nicht um Wasser auf ihre Mühlen zu geben.«
Lincoln hob eine Augenbraue. »Machst du dich etwa über mich lustig?«
»Wie schnell du das wieder gemerkt hast!«
Er schnaubte, griff abermals nach Melissas Hand und ging mit ihr zum Stall. Dort wartete Ian bereits mit drei gesattelten Pferden auf sie.
»Dein Vater hat nichts dagegen?«, fragte er Melissa.
»Nein, warum sollte er? Wir machen doch bloß einen kleinen Ausritt. Dad hat es nur nicht gern, wenn man etwas hinter seinem Rücken tut.«
Ian nickte und schwang sich in den Sattel. »Dann nichts wie los!«
Eigentlich hatten sie am See entlangreiten wollen, denn der Pfad bot viele wunderschöne Ausblicke. Doch weil der Albtraum noch so frisch in ihrem Gedächtnis war, schlug Melissa vor, lieber ans Meer hinunterzureiten. Allzu weit war es nicht bis zur Küste. Eine Stunde hin und eine zurück und sie würden pünktlich zum Lunch wieder in Kregora sein.
Ian ritt hinter Melissa und Lincoln, damit er sich nicht andauernd den Hals verrenken musste. Zwar wollte er den beiden die Gelegenheit geben, sich in aller Ruhe zu unterhalten, doch er nahm seine Rolle als Melissas Bewacher durchaus ernst. Darum folgte er in nicht allzu weitem Abstand.
Anfangs lachte noch die Sonne vom Himmel. Doch wie so oft im Hochland zog sie sich bald hinter eine dicke Wolkenwand zurück. Die Reiter machten sich nichts daraus. Solange es nicht gerade wie aus Kübeln goss, würde sich kein Schotte über das Wetter beklagen. Melissa und Lincoln legten ein gemütliches Tempo vor und hätten nun endlich die Gelegenheit gehabt zu reden. Aber zunächst genügte es ihnen, einander nur anzusehen. Endlich mussten sie ihre Blicke einmal nicht verschämt verbergen. Was es zu besprechen gab, war weit weniger angenehm als dieser stumme Austausch von
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