Verheißung des Glücks
sie sich Sorgen machen konnten. Nicht zum ersten Mal im Leben musste Melissa nun viel länger das Bett hüten, als es für ihre Genesung eigentlich notwendig war. Sie hoffte, es würde das letzte Mal sein und baute darauf, dass Lincoln sich die übertriebene Fürsorge ihrer Eltern nicht zum Vorbild nahm.
Melissa bekam mehr als einmal zu hören, sie sei eine besonders ungeduldige Patientin. Sie hielt es einfach nicht mehr aus, ständig in Watte gepackt zu werden. Einen anderen Grund für ihre innere Unruhe konnte es nach ihrem Ermessen nicht geben. Immerhin würde sich nun bald ihr größter Wunsch erfüllen: Sie konnte den Mann, den sie liebte, endlich heiraten.
Für Melissa hätte es ein Wermutstropfen sein können, dass ihr Vater erst ein Einsehen gehabt hatte, als es beinahe zu spät gewesen war. Doch das warf sie ihm nicht vor. Zu groß war ihre Freunde darüber, dass ihre Familie Lincoln nun endlich akzeptierte. Was tat es da noch zur Sache, wie es zu diesem Sinneswandel gekommen war? Sie wünschte sich nur, auch die letzten Zweifel an Lincolns Charakterfestigkeit würden sich in Wohlgefallen auflösen.
Melissa konnte sich gut vorstellen, dass ihre Verwandtschaft im Stande war, Lincoln nun noch jahrelang mehr oder weniger misstrauisch zu beobachten und damit ihrem Glück einen Dämpfer zu verpassen.
Ihre Reizbarkeit schob sie vor allem auf die lange Zeit, die sie in ihrem Zimmer ausharren musste, weil ihre Eltern sie noch für zu schwach hielten, um wieder ganz normal am Leben auf der Burg teilnehmen zu können. In Wirklichkeit jedoch lagen Melissas ungewohnt wechselhaften Stimmungen noch ganz andere Dinge zugrunde, die sie nicht ohne weiteres benennen konnte. Die Hochzeit sollte in vier Wochen stattfinden. Sie hatte also noch eine unendlich lange Wartezeit vor sich, wo sie doch endlich ihre Tage und allem die Nächte mit Lincoln verbringen wollte. Nur sehr selten gelang es ihr, innerhalb der Burgmauern einmal mit ihm allein zu sein, und immer nahte schon nach wenigen Augenblicken ein störender Dritter und beendete die ersehnte Zweisamkeit. Es waren einfach zu viele Menschen um sie.
Lachlan MacGregor legte Melissa andauernd die Hand auf die Stirn, um sicher zu sein, dass sie kein Fieber mehr hatte. Wich sie ihm aus, so beauftragte er seine Gattin, nach Melissa zu sehen, und den besorgten Blicken ihrer Mutter konnte sie sich nicht entziehen.
An jenem Morgen erhielt Melissa einen Brief, der ihr einen triftigen Grund bot, Lincoln aufzusuchen. Natürlich brauchte sie dazu im Grunde keinen Vorwand, aber noch immer ließ man sie nicht miteinander allein. Zwar hatte Melissa keine offizielle Anstandsdame, doch sobald sie und Lincoln versuchten, sich den wachsamen Augen von Melissas Verwandtschaft zu entziehen, erregten sie das Missfallen ihres Vaters. Man ließ sie miteinander reden, aber nur solange sie in Sichtweite blieben.
Melissa fand Lincoln im Pferdestall. Sein Hengst war vor ein paar Tagen gefunden und auf die Burg zurückgebracht worden. Das tagelange wilde Umherstreifen hatte ihn allerdings recht widersetzlich gemacht, und die Stallburschen legten keinen Wert darauf, in die Nähe dieses Pferdes zu kommen. Es würde einige Zeit dauern, bis der Hengst wieder zur Ruhe kam. Einstweilen wollte Lincoln sich selbst um ihn kümmern.
Lincoln bemerkte Melissa nicht sofort. Eine ganze Weile sah sie ihm dabei zu, wie er das dunkle Fell des Hengstes striegelte. Ian Three war gerade am anderen Ende der Stallgasse mit seinem eigenen Pferd beschäftigt. Er nickte zum Gruß, als Melissa eintrat, machte aber keine Anstalten, sich zu ihr und Lincoln zu gesellen. Sie würden also wenigstens ein paar Minuten lang ungestört reden können.
Noch zögerte Melissa, sich bemerkbar zu machen, denn sie wollte Lincoln erst noch eine Weile in Ruhe betrachten. Er hatte die Jacke abgelegt und die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn; auch das weiße Hemd sah an manchen Stellen verschwitzt aus. Außerdem musste er sich dringend die Haare schneiden lassen. Die Haare reichten ihm bereits bis auf die Schultern.
Noch nie zuvor hatte Lincoln in Melissas Augen so schottisch ausgesehen. Ihr Vater kannte kein Zögern, wenn es darum ging, die Ärmel aufzukrempeln und sich gemeinsam mit den anderen Männern aus dem Clan in harte körperliche Arbeit zu stürzen. Englische Lords hingegen taten so etwas nicht.
»Du striegelst dein Pferd selbst?«, sagte Melissa schließlich. »Ich dachte, ein Lord
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