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Verheißung des Glücks

Verheißung des Glücks

Titel: Verheißung des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Lindsey
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regelrecht zerquetscht. Er war vom Hals an abwärts gelähmt. Die Ärzte sagten, er würde sich nie wieder bewegen können. Völlig hilflos lag er da.«
    »Aber gerade in einer solchen Situation muss doch die ganze Familie zusammenhalten.«
    »Dein Vater war anderer Ansicht, Lincoln. Er wollte nicht, dass du ihn als Krüppel sehen musst. Als er sich über das Ausmaß seiner Verletzungen bewusst wurde, wollte er sterben. Er bat mich, ihn zu töten, aber das konnte ich nicht. Ich liebte ihn zu sehr, war wohl auch zu egoistisch, ihn gehen zu lassen. Das akzeptierte er, aber ich musste ihm versprechen, allen zu sagen, er sei gestorben. Sogar eine Beerdigung musste ich für ihn ausrichten. Die Zeit war zu knapp, um ihm das auszureden.«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Die Kopfverletzungen zerstörten seinen Geist«, erklärte Eleanor. »Gelegentlich gab es Momente, in denen er mit mir reden konnte. Dann waren seine Gedanken klar und er erinnerte sich an alles. In einem solchen Augenblick verlangte er, ich solle dir sagen, er sei tot. Die restliche Zeit über — beinahe immer — wusste er nicht, wo und wer er war. Er war einfach ... nicht mehr da.«
    »Er verlor sein Gedächtnis?«, fragte Melissa.
    »Nicht im eigentlichen Sinne.«
    »Dann lebte er also auch nicht in einer Scheinwelt«, sagte Melissa.
    »Nein. Oft wünschte ich mir, das wäre ihm vergönnt gewesen. Aber er lag einfach nur da und schien in einem ohnmachtähnlichen Schwebezustand gefangen. Er konnte die Augen öffnen. Er konnte kauen und schlucken, wenn ich ihn fütterte. Aber er erkannte mich nicht und wusste auch nicht, wer er war. Der Arzt behauptete, mein Mann nehme in diesem Zustand überhaupt nichts wahr. In diesen Zeiten sprach er auch nicht. Er schien sich nicht einmal daran zu erinnern, wie das ging.«
    »Dennoch verstehe ich nicht, warum er wollte, dass alle Welt ihn für tot hielt«, sagte Lincoln.
    »Nicht alle Welt, Lincoln. Es hätte ihm nichts ausgemacht, wenn jeder gewusst hätte, dass er nur noch ein hilfloser Krüppel war. Aber du, Lincoln, du solltest es nicht erfahren. Deshalb wollte er für tot erklärt werden.«
    »Aber warum wollte er mir seinen Zustand denn verheimlichen?«
    »Er wollte dir ersparen, dass du deinen Vater so siehst. Er hatte einen ausgeprägten Stolz. Du solltest dich an den Vater erinnern, der er einmal gewesen war, und nicht den Menschen vor Augen haben, den der Unfall aus ihm gemacht hatte.«
    »Und deshalb verbannte er mich aus seinem Leben — für immer?«, fragte Lincoln mit erstickter Stimme.
    »Versuch ihn zu verstehen, Lincoln. Dein Vater traf diese Entscheidung schon kurze Zeit nach dem Unfall. Er hatte furchtbare Schmerzen. Und er merkte, wie sein Geist immer seltener zu seiner alten Stärke zurückfand. Er wusste, er würde über kurz oder lang nicht mehr er selbst sein. Zudem glaubte er, ohnehin nichts mehr für dich tun zu können. Und damit hatte er im Grunde Recht. Die Phasen, in denen er noch ganz der Alte war, wurden immer kürzer. Ich traute mich kaum noch aus dem Zimmer, um diese seltenen Momente nicht zu verpassen.«
    Lincoln wurde blass, als sich vor seinem geistigen Auge eins zum anderen fügte. »Deshalb hast du dich tagelang dort oben eingeschlossen? Er lag in deinem Zimmer?«
    »Ja. Nur zwei Menschen wussten, dass er noch lebte: der Arzt und der Kammerdiener deines Vaters. Dieser treue Mann war seinem Herrn so ergeben, dass er mir all die Jahre half, deinen Vater zu pflegen.«
    »Aber das waren beinahe zwei Jahrzehnte ... Du hast meinen Vater mein halbes Leben lang vor mir versteckt.«
    »Immer wieder habe ich versucht, ihn umzustimmen. Im Laufe der Jahre kam er zwar immer seltener zu sich, aber jedes Mal, wenn er mit mir reden konnte, stand seine Entscheidung noch genauso fest wie zu Anfang. Du durftest ihn niemals in diesem Zustand zu Gesicht bekommen. Sein Sohn sollte nie etwas von dem hilflosen Bündel Mensch erfahren, als das er sich nun fühlte. Gegen Ende verfiel er zusehends. Nur ein Mann, der einmal so kraftvoll und energiegeladen gewesen war wie er, konnte diesen Zustand überhaupt so lange überleben.«
    »Warum hast du mir nicht wenigstens vor zwei Jahren, als er tatsächlich gestorben war, gleich alles gesagt?«
    »Weil sein Tod mich nicht von meinem Versprechen entband«, antwortete Eleanor. »Und auch jetzt hätte ich nichts gesagt, nur ... Nun weiß ich, was für ein fataler Fehler es war, ihm dieses Versprechen zu geben. Eigentlich wollte ich es von Anfang an nicht,

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