Verheißung des Glücks
Melissa Platz nahm.
»Ja, da könnt ihr von Glück sagen«, murmelte sie.
»Wenn du nun trotzdem nicht mehr mit uns redest, hätte er auch nach China fahren können.«
»Ihr könnt von Glück sagen, weil ich mein Leben lang nicht mehr mit euch reden würde, wenn er nicht zurückgekommen wäre.«
»Ah!« Ian grinste sie an. »Wir haben also noch eine Chance. Vielleicht tröstet es dich ja, dass dein Lincoln zumindest an einigen von uns Vergeltung üben konnte. Aber da du ja noch nicht mit mir redest, willst du vielleicht gar nichts davon hören.«
Melissa ignorierte ihn. Sie war ihm schon viel zu sehr entgegengekommen. Wenn er nicht ein so guter Freund gewesen wäre, hätte sie überhaupt nicht mit ihm gesprochen.
»Nun, ich muss schon sagen, du zeigst eine beachtliche Willensstärke, Meli«, verkündete Ian fröhlich, nachdem sie ein paar Minuten geschwiegen hatten. »Wie gut du deine Neugier im Grill hast! So kenne ich dich gar nicht.«
»Ach, halt den Mund und erzähl es mir endlich!«
Er lachte und antwortete dann: »Also, pass auf! Line hat sich heute Morgen um neun Uhr mit meinen Brüdern und mir in einen Sportclub getroffen. Dort machte er dann mit der Hälfte von uns kurzen Prozess.«
»Wie schwer ist er verletzt?«
Ian verdrehte die Augen. »Du solltest dich zuerst nach deinen Blutsverwandten erkundigen, bevor du nach ihm fragst.«
»Bei sechzehn gegen einen? Sicher nicht. Also, wie schwer ist er verletzt?«, wiederholte Melissa.
Ian schnaubte. »Ihm geht es sicher besser als einigen von uns.«
Sie hob eine Augenbraue und gab zurück: »Du wirkst völlig intakt und ziemlich heiter. Ich nehme an, du warst nicht bei denjenigen, die er sich vorgeknöpft hat.«
»Stimmt. Ich hatte Glück. Er gab es auf, uns alle besiegen zu wollen, bevor ich an der Reihe war.«
»An der Reihe?« Melissa sah ihn fragend an. »Er hat also nicht gegen euch alle auf einmal gekämpft?«
»Nein.«
»Großer Gott, warum sagst du das nicht gleich?«, schimpfte sie. »Ich dachte schon, es sei wieder genauso gewesen wie damals.«
»Es war völlig anders«, gab er zu. »Obwohl ich es immer noch verrückt finde, wenn ein Mann sich vornimmt, ohne Pause gegen sechzehn Gegner zu kämpfen, und glaubt, er könnte jeden Kampf gewinnen. Einen oder zwei von uns pro Tag hätte er vielleicht geschafft.«
»Aber hättet ihr euch darauf überhaupt eingelassen?«
Ian dachte einen Augenblick lang nach und antwortete dann: »Warum nicht? Bei insgesamt sechzehn Kämpfen hätte auf jeden Fall die Möglichkeit bestanden, dass einer von uns ihn schlägt. Aber das tut nichts zur Sache. Allein die Idee, uns alle an einem Morgen durchzuprügeln, beweist, dass er noch immer verrückt ist.«
»Unsinn! Ich finde, das war sogar eine sehr ehrenhafte Art, Vergeltung zu üben, falls Lincoln das überhaupt wollte. Er hätte euch ja auch auflauern und versuchen können, jeden von euch einzeln zu erwischen. Und selbst wenn er keine Hoffnung hatte zu gewinnen, so hat er euch doch gezeigt, dass er ein ernst zu nehmender Gegner ist.«
»Das ist es ja gerade. Er glaubte tatsächlich, er könnte uns alle schlagen. Der Fairness halber sollte ich erwähnen, dass er sagte, er wolle keine Vergeltung und das Treffen in der Sporthalle habe mit der Schiffsreise, auf die wir ihn geschickt haben, gar nichts zu tun.«
»Aber womit denn dann?«
»Er hat es für dich getan«, sagte Ian kopfschüttelnd. »Genauer gesagt, er wollte uns besiegen, damit wir nach Hause reiten und er dir endlich wieder den Hof machen kann.«
Melissa schenkte Ians spöttischem Ton keine Beachtung. Stattdessen lächelte sie ihn strahlend an. »Für mich?«
»Natürlich nahm ihm das keiner von uns ab. Wir haben ihm sogar gesagt, wir würden sowieso zurückreiten, sobald dein Vater hier ist, und er würde wahrscheinlich schon heute ankommen. Lincoln hätte sich die Mühe also sparen können. Aber ich glaube, er wollte uns für das, was wir ihm angetan hatten, leiden sehen.«
»Mag sein. Aber betrachte es doch mal von seiner Seite. Sechzehn Männer stellen sich ihm in den Weg und verhindern, dass er das bekommt, was er unbedingt haben will. Außerdem steht ihm auch noch eine Unterredung mit meinem Vater bevor, was für manchen jungen Mann schon für sich genommen zu viel wäre. Aber bevor er diese Hürde überhaupt in Angriff nehmen kann, fällt den sechzehn selbst ernannten Leibwachen seiner Angebeteten nichts Besseres ein, als ihn gefesselt und geknebelt au f ein Schilf nach China zu
Weitere Kostenlose Bücher