Verheißungsvolle Küsse
Dazu wurde in Mengen ein Gebräu aus Met gereicht, von dem es hieß, es wäre das moderne Äquivalent des uralten Wassail. Seine Wirkung auf die Gäste sah man bereits. Helena lächelte und lehnte es ab, davon zu trinken - sie musste all ihre Sinne beisammenhalten.
Zwei Nächte waren vergangen, seit Lord Chomley nicht begriffen hatte, dass St. Ives’ »später« scherzhaft gemeint war. Also auch diese Lordschaft war nicht der passende Gatte für sie. Mittlerweile hatte sie ihre Liste verbissen zusammengestrichen - dank des Wetters konnte sie tagsüber nur wenig unternehmen. Abgesehen von Were, der momentan nicht in der Stadt war, gab es noch drei andere, die etwa in Frage kämen. Sie zweifelte nicht an ihrer Fähigkeit sie zu becircen, damit sie um ihre Hand anhielten. Aber welchen sollte sie wählen?
Soweit sie bisher durch alle möglichen diskreten Nachfragen herausfinden konnte, gab es nur wenig Unterschiede bei ihnen, was Titel, Besitz und Einkommen betraf. Jeder von ihnen war wie es schien unkompliziert, jeder der vier sollte leicht manipulierbar sein. Nachdem alle ihre Kriterien erfüllt waren, musste sie noch ein Weiteres hinzufügen - einen entscheidenden Faktor.
Sieben Jahre lang war sie vor den raffiniertesten Connaisseurs der französischen Aristokratie Parade gelaufen und hatte bereits vor langem erkannt, dass körperliche Berührung ein äußerst nützliches Mittel war, um Männer zu kategorisieren. Da gab es solche, bei deren Berührung sie eine Gänsehaut bekam - von denen hatte sie mehr kennen gelernt, als ihr lieb war. Kein einziger von ihnen war gütig oder vertrauenswürdig gewesen. Denen schlossen sich diejenigen an, die sie wie Freunde oder Zofen duldete. Solche Männer waren im Allgemeinen anständige, aufrechte Seelen, besaßen aber nicht unbedingt einen starken Willen, oder einen lebhaften Verstand.
Es hatte nur einen gegeben, bei dessen Berührung Feuer in ihr aufloderte.
Für sie war er der Gefährlichste von allen.
Nun … jetzt war die Zeit gekommen, die drei noch in London befindlichen Kandidaten zu vergleichen, indem sie herausfand, wie sie auf ihre Berührung reagierte. Mit Were hatte sie bereits getanzt und war mit ihm flaniert. Seine Nähe erwärmte oder erregte sie nicht, aber Gänsehaut bekam sie auch nicht davon. Were hatte den Test bestanden. Wenn sie bei den anderen keine Gänsehaut bekam oder Feuer fing, würden auch sie auf ihrer Liste bleiben.
Lord Atlebright, Erbe des Duke of Higtham, widmete sich im Augenblick seiner Frau Mutter; aber Viscount Markham, ein liebenswerter Gentleman um die dreißig, Erbe des Earl of Cork, kam auf sie zu.
»Meine liebe Comtesse«, Markham verbeugte sich elegant. »Ihr seid gerade erst eingetroffen. Sonst hätte ich Eure Gegenwart längst bemerkt.«
Helena lächelte. »Richtig, wir sind im Moment gekommen.« Sie reichte ihm ihre Hand. »Ich würde gerne ein bisschen promenieren, wenn Ihr geneigt seid.«
Seine Lordschaft nahm begeistert ihre Hand. »Es wäre mir in der Tat ein großes Vergnügen.«
Die Berührung der Hände, genauer gesagt der Fingerspitzen, genügte nicht, um ein Urteil zu fällen. Helena sah sich um, konnte aber keine Musiker entdecken. »Wird denn bald getanzt werden?«
»Das bezweifle ich.« Markham sah sie an. Bildete sie sich ein, dass seine Augen berechnend funkelten? »Lady Castlereagh bezeichnet ihre Abende als Bälle; aber in Wirklichkeit hat sie alles andere als Tanzen im Sinn. Folglich wird es nur ein paar Menuette geben und die höchstwahrscheinlich erst sehr spät.«
»Ah, ich verstehe.« Helena hielt sich zurück, während sie stehen blieben und plauderten, sich dann weiter durch die Menge bewegten. »Ich muss gestehen« - sie beugte sich näher zu Markham und senkte die Stimme - »dass ich den englischen Hang zu so überfüllten Räumen irgendwie … enervierend finde.« Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen. »Tanzen, das gibt einem für einige Zeit wenigstens die Illusion, aber … tiens , wie soll man hier Luft kriegen?«
Sie stellte die Frage lachend, aber Markham hatte bereits den Kopf gehoben und ließ den Blick über die Menge schweifen. Dann sah er mit unergründlichem Blick zu ihr hinunter. »Wenn Ihr in weniger überfüllter Umgebung spazieren gehen wollt … gleich neben dem Musikzimmer gibt es einen Wintergarten. Wir könnten uns dorthin zurückziehen, falls Ihr das wünscht.«
Der Unterton von Begierde in seiner Stimme ließ sie aufhorchen; aber bis zum Ende des morgigen Abends
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