Verheißungsvolle Küsse
außer dem Stampfen der Hufe.
Dann tauchte noch ein Weg auf - ein Deich. Die Pferde bewältigten mühelos den Anstieg, Sebastian wendete und hielt an.
Helena stellte sich seinem Blick mit einem Lächeln auf den Lippen, Lachen stieg ihre Kehle hoch. »Oh!« Sie holte Luft. »Es ist fast wie zu Hause!«
»Zu Hause?«
»Cameralle liegt in der Camargue. Es ist nicht« - sie sah sich um - »nicht genauso, aber ähnlich. Genau wie hier ist der Himmel weit offen.« Sie senkte die Arme, streckte sie. »Und die Marschen sind endlos.«
Heiter lenkte sie die Stute neben dem Grauen her. »Viele finden, es ist ein zu wildes Land.«
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er lächelte.
»Und die Bewohner zu wild, um anständig zu sein?«
Sie lachte, gab aber keine Antwort.
Es war nicht schwer, ihre Sorgen für den Rest dieses magischen Morgens in Zaum zu halten. In der Wildnis der Camargue war sie immer frei gewesen, hier spürte sie ein verwandtes Gefühl von Nichteingesperrtsein. Die Erlaubnis, sich frei zu bewegen.
Selbst hinterher, als sie müde aber erfrischt im Trab zum Stall zurückritten, gelang es ihr durch schieren Willen, ihren Kopf von Fabiens Gift freizuhalten. Sie lächelte immer noch, als sie am Haus angelangt waren. Sebastian führte sie zu einer Seitentür, durch die sie das Haus betraten.
Erstaunt blieb sie stehen. Die Tür führte direkt in einen kleinen Salon, nicht in einen Korridor, wie sie angenommen hatte. Die Tür fiel ins Schloss, als sie sich umdrehte. Dann war Sebastian da und sie lag in seinen Armen.
Locker festgehalten, nicht gepackt. Er umfing sie wie eine Kostbarkeit, die er sich sehnte zu besitzen.
Sie schaute in diese leuchtenden Augen und sah die Wahrheit in das Blau eingraviert.
Seine Hand war unter ihrem Kinn, hob ihr Gesicht.
Ihre Lider schlossen sich, als er den Kopf senkte.
Übung macht den Meister. Eine unbestreitbare Tatsache, zumindest in diesem Fall. Ihre Lippen schienen einander zu kennen - berührten, streiften sich, dann verschmolzen sie mit der Zuversicht der Vertrautheit.
Der Druck steigerte sich. Sie zögerte, hielt sich für einen Augenblick zurück - erkannte im selben Moment ihre Unfähigkeit, sich dabei vor ihm zu verstecken; denn er würde es merken und misstrauisch werden. Erkannte, dass sie es nicht ertragen konnte, wenn Fabien triumphierte und ihr selbst das wegnahm.
Nur das hatte er ihr noch gelassen - diese einzige Erfahrung von Glück, die sie tapfer genug war zu packen - absichtlich zu packen.
Nur ein Kuss. Keiner von beiden drängte auf mehr; trotzdem war da ein unverhohlenes Versprechen im Verschmelzen ihrer Münder, in der heißen Verschlingung ihrer Zungen. In der Art, wie ihre Körper zusammenkamen, weich auf hart, Hüften gegen Schenkel, Brüste an Brust.
Sie nahm und er gab, er stellte Forderungen und sie erfüllte sie freudig. Leidenschaft erwachte, wuchs, streckte sie, Verlangen stieg aus den Tiefen auf. Hitze, tiefe Lust und diese süße, schmerzliche Sehnsucht - sie waren da, lauerten, dennoch gebremst von einer wissenden Hand. Das Versprechen lockte weiter.
Wie mächtig konnte ein Kuss sein?
Genug um sie beide keuchen zu lassen, in beiden nun doch den Wunsch nach mehr zu wecken. Gleichwohl hörten sie, trotz des Rauschens in ihren Ohren, den Gong, der durchs Haus dröhnte und zum Mittagessen rief.
Ihre Blicke trafen sich, voller Erkennen, glitten beiseite. Atem verschmolz mit Atem, dann küssten sie sich wieder, kamen noch einmal zusammen, eine letzte Liebkosung, bevor sie sich voneinander lösten.
Er hielt sie, bis sie nickte, wieder sicheren Halt gefunden hatte. Widerstrebend gab er sie frei, ließ seine Hände über ihre Arme gleiten, als sie sich zur Tür wandte. Seine Finger schlangen sich um ihre, drückten kurz, dann glitten sie weg.
»Bis später, mignonne !«
Sie hörte das tiefe Murmeln, als sie sich in Bewegung setzte. Hörte die Verheißung in seinen Worten. Zwar zögerte sie, aber ihr fiel nichts ein, was sie sagen konnte. Er öffnete die Tür, sie ging voran. Sebastian folgte.
9
Wenn Fabien ihr jede Chance auf ein Leben verweigerte - ein Leben, das rechtmäßig ihr selbst gehören sollte - dann würde sie sich schadlos halten, sich heimlich alles nehmen, was nur ging.
Auf dem Weg zum Untergang.
Bei allem Trotz war Helena von Zweifeln geplagt, von Schuldgefühlen zerrissen. Denn wenn sie plante, Sebastian zu berauben, und gleichzeitig ihre Lust bei ihm befriedigte, dann war das eine schreckliche Sünde - gleichgültig, wie
Weitere Kostenlose Bücher