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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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Unglück. Und warum hatte er mir mit solch langem
Abschiedsblicke nachgesehen?
    Um Gottes willen, mag das ganze Haus verbrennen, wenn
nur ihm nichts zugestoßen ist! Die Angst schnürte mir die
Kehle zu; keuchend, schluchzend langte ich oben an.
    Die Flammen hatten fast das ganze Haus ergriffen. Die
Dachschindeln, von der Hitze der letzten Wochen ausgedörrt,
brannten wie Zunder.
    Ja selbst die Bäume in dem kleinen Garten vor dem Hause
begannen schon zu glimmen.
    Wo war Konradin? Ich rief ihn überall, bis mir die Stimme
schier versagte. Keine Antwort. War er vielleicht — zum
Glücke — ausgegangen? Oder war er im Hause drinnen, in
den Flammen, erstickt, verbrannt? Es war nicht auszudenken.
    Ich muß ins Haus, und koste es mein Leben. Neunmal versuchte
ich es, und neunmal mußte ich zurück vor dem höllisch
heißen Brodem, der mir entgegenfuhr, und vor dem flammenden
Gebälke, das sich krachend von der Decke löste. Wie es
mir gelang, in diese Lohe einzudringen, weiß ich nicht, kann
ich nicht begreifen.
    Drinnen fand ich ihn. Auf dem Boden liegend. Ich
schleppte ihn mit mir. Wie ich wiederum hinausgelangte, geblendet,
mit versengten Haaren, blutend und zerfetzt, bleibt
mir ein Rätsel.
    Ich stürzte mich auf den geborgnen Körper. Entsetzt, gelähmt
fuhr ich zurück. War das denn Konradin? Dies armselige,
verkohlte Bündel Fleisch war Konradin? Die goldenen
Locken weggebrannt, und wo das Cherubsantlitz lächelte, da
bleckte ein entstellter Stumpf.
    Die rechte Hand des Leichnams umklammerte die Glühlampe,
und in der linken hielt er die verkohlten Reste eines
Handtuchs. Nun war die Ursache des Brandes leicht erklärt.
Konradin hatte sich, wie auch sonst, nach der Arbeit an der
Staffelei die Hände gewaschen. Mit der feuchten Hand griff
er nach der Glühlampe. Sie war schlecht gesichert, so daß der
Strom ihn traf. Mit voller Wucht, denn das Unglück wollte es,
daß seine Hand noch naß war, und Wasser leitet die Elektrizitätbesonders gut. Betäubt, vielleicht schon tot, stürzte er zusammen,
seine Kleider fingen Feuer, und der Brand, gefördert
durch die übergroße Hitze, konnte ungehindert um sich greifen.
Und wenn den Unglücklichen nicht schon der Strom getötet
hatte, so taten’s um so sicherer die Flammen.
    Ich war völlig von Sinnen, wie gelähmt. Unfähig, zu denken,
mich zu rühren, hingekauert vor dem Leichnam, sah ich
dem Spiel der Flammen zu, sah ruhig zu, wie das ganze Haus
bis auf die Mauern niederbrannte.
    Alles hatte der Brand verzehrt. Nur die Maschine nicht und
ein Gebetbuch, das wie durch ein Wunder unversehrt geblieben
war. Ich fand es an der Stelle, wo Konradin gelegen hatte.
Sein Körper hatte es vor dem Brand geschützt.
    Konradin hatte das Buch mit Federzeichnungen etwa in der
Art geschmückt wie Albrecht Dürer die Handbibel des Kaisers
Maximilian. Dieses Gebetbuch mit seinem zeichnerischen
Schmuck war alles, was von Konradins Schaffen übrigblieb.
    Schon hatten die Flammen alles Brennbare vernichtet, da
fiel ein heftiger Gewitterregen und rettete so wenigstens die
Bäume vor den Flammen. Es war wie grausamer Hohn: wäre
der Regen nur um zwei Stunden früher losgebrochen, so hätte
er den Brand noch rechtzeitig gelöscht, Konradin wäre vielleicht
noch am Leben.
    So verharrte ich den ganzen Abend und die ganze Nacht,
unter Regen, Blitz und Donner; schlief nicht und wachte
nicht, dachte nicht, regungslos und tränenlos. Kauerte vor
den rauchgeschwärzten Trümmern meines Hauses — wie ein
Gespenst vor seinem offnen Grabe.
    Und als der kühle Morgen graute, als jene düstre Stunden
des Erkennens nahte, die bleiche, erste Morgenstunde, die
uns die graue Wirklichkeit der Dinge zeigt — da fand ich endlich
Worte, fand ich Tränen. Nach dem fahlen Schimmer,
der am fernen Horizonte aufstieg, reckte ich die Hände
und schrie mit heisrer, haßerfüllter Stimme: »Jetzt sind wir
quitt!«
    Daß ich ein zweites Mal zum Bettler wurde, ohne Murrenhätte ich’s ertragen. Bettelarm, ein Schiffbrüchiger, war ich ja
angelangt im siebzehnten Jahrhundert. Aber daß mir der
Freund entrissen wurde, der einzige, der mich verstand, dem
ich mich anvertrauen konnte, der mir gut war — das war die
Antwort auf meinen demütigen Dank, auf mein bußfertiges
Entsagen? Das ist die Liebe des Allerbarmers? Nein, das ist
Teufelshohn.
    Hier hatte die Natur einmal ein Meisterwerk gebildet,
schön wie ein Gott und arglos wie ein Kind, einzig dem Guten
zugetan und von dem Glauben an das Göttliche erfüllt und
ein

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