Verkehrt!
gut ausgebildet, schnell und ausdauernd, mit einem soliden Haken und einem Jab, den würde Superman nicht kommen sehen. Denk dabei an deine Verteidigung, halt die Fäuste oben, zusammen, und die Ellbogen am Körper, und wenn der Schlappschwanz zwei-, dreimal durch die Luft gerudert hat, weil du ihn ausgeblendet hast, gibst du ihm eins auf die Nuss, und zwar so hart, als ob du nur diesen einen Schlag hättest. Leg all deine Wut in den Schlag, denk an all die Abiturienten, die dir deine Freundinnen wegschnappen werden, an all die Schlampen, die dich betrügen werden, und an den Typ, wegen dem sie sich von dir scheiden lassen und die beim Auszug aus dem Haus, das du nun verkaufen musst, sogar das vergoldete Teilgebiss deiner alten wehrlosen Mutter mitnehmen. Denk an all die Ringrichter, die sich haben kaufen lassen und dich bei jedem Treffer anzählen, damit du nach Punkten verlierst. Denk an den Zahnarzt, der dir deine Weisheitszähne auf der falschen Seite gezogen hat, an all die Kredithaie und die Gebrauchtwagenhändler. Und vergiss nie, wo du hergekommen bist. Du gehst nicht in die Knie, nicht bei deiner Vergangenheit. Das wird dein Stolz nicht zulassen. Ich meine, hey, du bist alles, er ist ein Nichts. Kein Gegner ist dir gewachsen, lass ihn Dreck fressen. Dafür ist seine Kauleiste gemacht, dafür und um eins draufzukriegen. Lass ihn nie aus den Augen, seine Augen und seine Fäuste, sonst existiert nichts für dich. Solange du im Ring stehst, gibt es die Welt da draußen nicht. Keine Schule, keine Eltern, kein Finanzamt. Die Regeln sind klar, das Ziel eindeutig, keine Anwälte, keine Gefangenen. Boxen ist Vietnam, nur ohne Knarren und Bäume, wenn du weißt, was ich meine. Triff ihn schnell und gezielt, und dann direkt wieder in Deckung. Du kannst meinetwegen aus deiner Deckung zugucken, wie er zu Boden geht. Manche spielen dreckig von den Dreckschweinen. Die tun nur so. Also, wenn er schwankt, direkt noch drei auf die Glocke, schnell und hart, bamm-bamm-bamm. So, und jetzt Ruhe, beruhig dich. Wenn ich gleich den Gong schlage, dann bist du ein Mann! Ein Mann, verstehst du? Dann gibt es kein Zurück mehr. Keine Kindheit. Playmobil und Computerspiele sind vorbei, das ist Pillepalle, Geschichte, Vergangenheit, Asche. Asche. Steh auf und zeige es! Zeig, was du draufhast. Zeig es ihm.
Ich nicke immer noch, als hätte ich eine Metallfeder im Hals und der rote Werner hätte meinen Kopf am Anfang seines Monologes angetippt. Aber er tritt jetzt zur Seite, und ich sehe zum ersten Mal meinen Gegner, der in der Mitte des Rings von einem Bein auf das andere tänzelt.
Was für ein süßer Bubi! Der hat ein Sixpack wie ein Unterhosenmodel.
Auch ich stehe auf, wir gehen aufeinander zu. Wie in einem Traum.
Was tue ich hier?
Ich versuche einen Fehler an seinem makellosen Körper zu finden. Aussichtslos. Sein Brustkorb, seine Arme, sein bronzener Teint, sein wohlgeformter Kiefer, die vollen Lippen und diese dunkelbraunen Augen.
Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, ich ertrinke an meinem eigenen Speichel.
Wir bleiben voreinander stehen, ich rieche seinen süßen Schweiß, am liebsten würde ich in seinen Armen versinken, ich kann nicht anders als lächeln.
Er wirft mir einen seltsamen Blick zu, irritiert, dann sehr ernst, geradezu böse, und er hält mir seine Boxhandschuhe hin.
– Worauf wartest du?, nuschelt er erstaunlich deutlich an seinem Mundschutz vorbei.
Ich sage, – Aufsch schdensch schgongsch.
Ein breiter Speichelfluss fließt aus meinem rechten Mundwinkel mein Kinn und meinen Hals hinunter.
Angeekelt verzieht er das Gesicht und stößt seine Handschuhe hart gegen meine.
Hat der Kampf schon begonnen? Ich habe den Gong gar nicht gehört.
Ich gucke rüber zum roten Werner, der gerade in diesem Moment den Gong schlägt. Ich drehe mich wieder zu dem süßen Bubi um. Aber da, wo vorher sein Adonisgesicht war, ist jetzt ein riesengroßer roter Ballon, der in meinem Gesicht explodiert, und ich fliege rückwärts, als würde mich jemand mit einem gigantischen Staubsauger anziehen. Das spüre ich noch. Je weiter ich mich entferne, desto dunkler wird mein Blick.
Schwärze.
22
Links von mir fliegt die Bretterwand der Halle vorbei. Manchmal streift mein Stiefel die Wand. Ich weiß nicht, die wievielte Runde dieses Biest schon mit mir dreht. Meine Hände klammern sich um Knauf und Zügel, meine Beine pressen sich an den Körper des Tieres. Ich rieche den Schweiß des Pferdes, höre das Schnauben, Speichel
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