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Verkehrt!

Verkehrt!

Titel: Verkehrt! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Nesch
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aus der wir gekommen sind, ohne Entschuldigung, ohne sich zu verabschieden.
    Mein Gesicht fühlt sich taub an, geschwollen.
    – Worauf wartest du?, röhrt der rote Werner von oben herab, – Steh auf! Hallo!
    Kopf, Arme und Beine scheinen an Gewicht gewonnen zu haben, bleiern und müde hieve ich eine Hand hoch und lasse sie direkt wieder sinken.
    – Frankyboy, stell dich jetzt nicht noch so an! Du hast eins auf die Glocke gekriegt, da schellt’s halt. Du musst aber nicht gleich tun, als hätte dich ein Nashorn gerammt. Hoch jetzt! Hoch! Hopp, hopp! Mann-Mann-Mann, schlimmer als eine alte Frau, schlimmer als ein Mädchen. Bist du ein Mädchen? Willst du ein Mädchen sein?
    Ja, denke ich, ja. Ich rolle mich auf die Seite, krieche auf allen vieren zur Wand und ziehe mich hoch.
    – Jetzt schaue sich einer dieses Naturschauspiel an. Wenn ich das jemandem erzähle, das glaubt mir kein Aas. Aber das erzähle ich keinem, schließlich will ich nicht, dass einer weiß, dass ich dein Trainer bin. Mach schon! Langsamer geht wirklich nicht. Da war Jesus an Ostern aber schneller wieder auf den Beinen, und der ist ein paar Tage tot gewesen. Willst du es auch in die Bibel schaffen, oder was gibt das? Da muss ich dich enttäuschen. Ohne Wunder läuft da nix. Roll nicht mit den Augen und hör auf, in deinem Gesicht herumzufingern. Ist nix kaputt. Nicht, dass das eine Schande wäre. Mal ehrlich. Du hast die optimale Boxervisage. Nichts zu verlieren. Das kann den Gegner schon vor dem Gong frusten, so eine Hackfresse. Das heißt aber nicht, dass du deine Nehmerqualitäten überstrapazieren musst. Ach, das mit den Nehmerqualitäten können wir wohl auch knicken. Verstehe ich nicht, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Weißte was? Das kommt, weil du immer nur so einen Scheiß frisst, Süßes und solchen Kram. Steak und Milch! Aber wie oft soll ich dir das noch sagen. Stell die Ernährung um. Du hast alles, was du in deiner Gewichtsklasse brauchst, Schnelligkeit, ausbaufähige Kraft, ganz dumm biste nicht, und eine Nehmerfresse, wo jeder andere Boxer weiß, der macht sich nichts daraus, wenn ich ihm da ein paar Geraden und Haken rein versenke.
    Kein Zahn locker, puh.
    – Guck mich an. Oder war das Absicht? Hast du dir absichtlich eine ballern lassen? Bist du so drauf? Muss ich Harry Bescheid sagen?
    Ich schüttele meinen Kopf.
    – Muss ich?
    – Nein.
    – Mann, du bist runtergegangen wie Hearns gegen Hagler 1985 .
    – Aha?
    – So, dann machen wir mal weiter.
    Er deutet Richtung Trainingshalle.
    – Nein danke, ich habe genug für heute.
    – Was? Wie, nein danke …
    – Genug.
    – Konditionstraining. Wir müssen eh wieder bei A anfangen. So kann ich niemanden auf dich loslassen.
    – Nein, heute nicht mehr, für heute habe ich genug.
    – Du kneifst?
    – Ich …
    – Wenn du jetzt Angst hast, wieder was abzubekommen, dann gebe ich dir am besten direkt noch eins auf die Gurke.
    – Nein, das …
    – Bist du jetzt ein kleines Hühnchen?
    Ich winke ab und tappe mit weichen Knien Richtung Ausgang.
    Werner flattert mit seinen roten Ellbogen auf und ab, als wolle er fliegen lernen, – Hühnchen, Hühnchen, gack-gack-gack, gack-gack-gack …

24

    Man ist eindeutig im Vorteil, wenn man auf einem Reiterhof einen Arzt benötigt. Nicht unwahrscheinlich, dass zufällig einer da ist. Wir hatten das Glück.
    Frau Dr. Imörjenci hat die Aufregung um das durchgegangene Pferd beim Umziehen mitbekommen und zur Sicherheit schon mal ihren Koffer für Hausbesuche aus dem Wagen geholt. Ihr rasches Erscheinen hat etwas von Supergirl. Supergirl in Reithosen und weißen Birkenstock.
    – Ihre Tochter ist in Ordnung, soweit ich es beurteilen kann.
    Mutti atmet auf. Und ich bin froh, dass sie mir mit ihrer hellen Taschenlampe nicht mehr in die Augen leuchtet. Auch Frau Wadenpohl ist froh. Sie steht neben Mutti am Fenster des Büroraums, während Frau Dr. Imörjenci und ich uns auf Stühlen gegenübersitzen.
    – Sind Sie sich sicher?, fragt Mutti.
    – Ja. Wenn sie sich allerdings in den nächsten achtundvierzig Stunden seltsam benimmt, seltsam schaut oder wirr redet, dann sollten Sie mit ihr noch einmal einen Arzt aufsuchen.
    Toll, unter den Voraussetzungen müssten die Erwachsenen täglich in die Notaufnahme.
    – Danke, ich werde sie beobachten.
    – Das rote Stranguliermal des Lassos …, an dieser Stelle unterbricht sich die Frau Doktor selber und wirft einen vorwurfsvollen Blick zu Frau Wadenpohl, bevor sie ruhig

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