Verlangen
»Ich sage, daß Sie diese Angelegenheit nichts anging. Es mag durchaus mildernde Umstände geben.«
»Ha, das wage ich zu bezweifeln«, schnaubte Victoria.
»Ich ebenfalls«, pflichtete Annabella ihr bei. »Stellen Sie sich nur einmal die arme Frau vor, die sich mit Bartons Kindern versteckt hält.«
Lyndwood wandte sich der anderen Seite der Kutsche zu. »Keine von euch zwei jungen Damen sollte etwas von Bartons Kindern wissen, die zufällig unehelich geboren sind. Es gehört sich nicht für euch, über solche Dinge auch nur zu sprechen, nicht wahr, Stonevale?«
»Eine solche Unterhaltung geziemt sich gewiß nicht gerade für wohlerzogene junge Damen der besseren Gesellschaft«, brummte Lucas, der sich grimmig der Tatsache bewußt war, daß er genau wie ein langweiliger Tugendbold klang.
Victoria lächelte triumphierend. »Lord Stonevale, erlauben Sie mir die Feststellung, daß es eine einfache Lösung gibt, wenn meine Unterhaltung eine Beleidigung für Ihre sensiblen Ohren ist. Öffnen Sie einfach die Tür der Kutsche und steigen Sie aus.«
In diesem Moment erkannte Lucas, daß Victoria Huntington die Macht besaß, seine eiserne Selbstbeherrschung wie niemand anderes in den letzten Jahren in Frage zu stellen. Darüber hinaus beherrschte sie diese Kunst völlig mühelos. Diese Lady war gefährlich. Es würde ihn größte Mühe kosten, Herr der Lage zu bleiben.
Lucas räusperte sich. »Meine empfindlichen Ohren werden Ihre unziemlichen Bemerkungen wohl ertragen, Miss Huntington. Und ich kann unmöglich jetzt aussteigen. Mein Ehrgefühl verlangt, daß ich meine Spielschulden begleiche.«
»Ha, dies sind keine ehrenhaften Spielschulden, Graf. Es handelt sich schlicht und einfach um Erpressung.«
»Ich versichere Ihnen«, erwiderte Stonevale, »mir wird klar, daß Erpressung durchaus keine einfache Sache ist, wenn Sie die Rolle des Opfers innehaben.«
Angesichts dieses Ausbruchs blitzten ihre Augen schalkhaft auf, und Lucas spürte, wie sein ganzer Körper mit unstillbarem Verlangen reagierte. Er kreuzte die Arme vor seiner Brust und lehnte sich in die Kissen zurück, wobei seine Augen ihren Blick in der Dunkelheit festhielten. In diesem Moment wünschte er nichts sehnlicher, als mit dieser Person, die ihn verhexte, allein zu sein. Es verlangte ihn, sie auf den Sitz herabzuziehen und ihr das Ausmaß der Gefahr zu zeigen, in die sie sich begab, wenn sie ihn derart offen herausforderte.
Einen Augenblick lang hing eine bedrohliche Stille zwischen ihnen. Als Victoria schließlich zwinkerte und ihren Blick von ihm losriß, wußte er, daß sie seine Gedanken erraten hatte.
Doch das Gefühl des Sieges war nur von kurzer Dauer. Schnell dämmerte ihm, daß sein Werben weit risikoreicher werden würde, als er zunächst gedacht hatte. Er hatte gehofft, seinem Opfer mit Jessica Athertons Hilfe, seinem Charme und seinem Können am Spieltisch, durch das er sich die notwendigen Mittel sicherte, der Gesellschaft seine finanzielle Misere so lange vorenthalten zu können, bis er sein Ziel erreicht hätte. Schließlich hatte er seine Pläne mit der ihm eigenen Sorgfalt geschmiedet.
Wenn es jedoch seiner Auserwählten in den Sinn kam, einen Spitzel auf ihn anzusetzen, so würde die Wahrheit wohl schnell ans Licht kommen. Das Gerücht von seinem angeblichen Erbe würde nicht lange Bestand haben. Es wurde deutlich, daß es sich beim Hofieren dieser bestimmten Erbin um die aufregendste
Jagd seines Lebens handelte. Ein falscher Schritt, eine falsche Berechnung, und er würde das Spiel verlieren.
»Wieviel Zeit haben Sie für das heutige Abenteuer eingeplant, Miss Huntington?« Lucas bemühte sich um einen neutralen Ton.
»Ist Zeit ein Problem für Sie? Haben Sie noch eine andere Verabredung?« fragte sie mit süßer Stimme.
Er spürte, daß sie herauszufinden versuchte, ob er eine Geliebte hatte, die ihn erwartete. »Nein. Lyndwood und ich müssen lediglich Vorkehrungen treffen, damit uns die Kutsche an einer bestimmten Stelle erwartet, und damit das in der Menschenmenge möglich ist, müssen wir uns auf eine Abfahrtszeit einigen.«
»Oh, ja, ich verstehe. Ich würde sagen, zwei Stunden sind reichlich Zeit, um sich auf dem Jahrmarkt zu vergnügen.«
Annabella seufzte. »Ich fürchte, ich kann nicht so lange fortbleiben, Vicky. Mama wird in zwei Stunden von der Soiree bei den Milricks zurückkommen, und sie wird erwarten, daß ich bis dahin zu Hause bin.«
Lucas kaschierte seine Erleichterung. »Also eine Stunde?«
»Eine
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