Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)
eine Waffe, die er im Ernstfall gebrauchen wird, denke ich. Wenn es bedeutet, Leben zu retten, indem wir ihn mit einer Ministerin reden lassen, ist der Preis dafür verhältnismäßig gering.«
Bjarne holt tief Luft. »Ich setze meine Chefin darauf an.«
78
Die Worte aus Katarinas Mund sind wie Faustschläge auf den Solarplexus. Trine hätte nie geglaubt, dass das Aussprechen eines Namens einen derartigen Schmerz verursachen könnte. All die Jahre, die sie zusammen verbracht haben. Die gemeinsamen Pläne. Träume. Das Fundament all dessen, was sie zusammen aufgebaut haben, ist mit einem Mal weggebrochen. Und plötzlich versteht sie auch alles andere, sieht, wie die Knöpfe vor ihrer Nase arrangiert wurden, die sie gedrückt hat, einen nach dem anderen, ohne darüber nachzudenken. Bloß weil er es gesagt hat.
Es ist furchtbar. Aber vor allen Dingen ist es zu spät. Er hat bekommen, was er wollte.
Oder?
Trine wirft einen Blick auf die Uhr an der Wand, erhebt sich und atmet tief ein. Dann tritt sie vor die Garderobe und kontrolliert ihr Spiegelbild. Was vor ihr liegt, jagt ihr Nadeln in die Haut. Allein in der letzten Stunde war sie drei Mal auf der Toilette. Eine Stunde joggen wäre jetzt genau das Richtige, um wenigstens einen Teil der Spannung aus dem Körper zu vertreiben. Obwohl sie immer noch die Nachwehen des Likörs spürt, den sie in der Hütte getrunken hat.
Trine schiebt sich eine Haarsträhne aus der Stirn, zupft ihre Bluse zurecht und dreht sich vor dem großen Spiegel hin und her. Du siehst gut aus, oder nicht?
Doch, sagt sie zu sich selbst. Du siehst gut aus.
Sie atmet noch einmal tief ein, sieht sich selbst starr in die Augen, schließt sie dann. Es wird der Horror werden.
Sie geht zu ihrem Schreibtisch, schiebt die Blätter zusammen, die sie ausgedruckt hat, ist sich nicht sicher, ob sie die überhaupt brauchen wird. Sie hält Reden und Vorträge eigentlich immer frei, ganz ohne Skript. Trotzdem wird es gut sein, etwas zu haben, worauf sie ihren Blick richten kann, zur Sicherheit. Etwas, woran sie sich festhalten kann.
Sie ist schon auf dem Weg zur Tür, als Katarina Hatlem auf sie zugehastet kommt. Nachdem sie Trine alles erzählt hat, hat sie von sich aus angeboten, sofort ihren Arbeitsplatz zu räumen. Doch jetzt wedelt sie mit dem Arm durch die Luft, hält in der Hand ein Mobiltelefon.
»Trine, warte!«
Das Gespräch unter vier Augen, das sie soeben geführt haben, ist wie weggewischt. Es liegt wieder die alte Seriosität in ihrem Auftreten, die Trine an ihr kennt.
Es muss etwas passiert sein.
»Ich habe einen Polizisten am Apparat«, sagt sie, als sie direkt vor Trine zum Stehen kommt. »Eine Geiselnahme in Jessheim.«
Trine sieht sie fragend an. »Ich bin auf dem Weg zur Pressekonferenz, Katarina, ich kann nicht …«
»Drei Sekunden«, sagt Katarina. »Hör dir an, was er zu sagen hat. Drei Sekunden.«
Wieder dieser Grabesernst.
Trine sieht ihre einstige Freundin an, ehe sie das Handy entgegennimmt und sich meldet.
Ein Mann namens Arild Gjerstad stellt sich vor.
Trine hört sich schweigend an, was geschehen ist und möglicherweise geschehen wird. Als Gjerstad fertig ist, sagt sie: »Richten Sie dem Geiselnehmer aus, dass ich zu ihm unterwegs bin. Aber ich will eine Gegenleistung. Eine Geisel zum Beispiel.« Trine gibt das Telefon an Katarina zurück, ohne aufzulegen. »Geh runter in den Presseraum«, sagt sie dann und schiebt sich eilig an Katarina vorbei. »Informier die Journalisten, dass die Pressekonferenz bis auf Weiteres verschoben ist.« Dann ruft sie ihrer Sekretärin zu, den Fahrer vorzuwarnen und ihm mitzuteilen, dass sie in zwei Minuten unten ist. Sie zieht nicht einmal eine Jacke an. Ungeduldig drückt sie den Fahrstuhlknopf. Und vier Minuten nachdem sie die Pressemauer durchbrochen hat – von wo ihr Rufe hinterherschallen, die Unverständnis und Unmut darüber äußern, wie sie einfach so verschwinden kann, ohne mit ihnen zu reden –, sitzt sie in ihrem Dienstwagen auf dem Weg nach Jessheim.
Der Fahrer hat sie noch gefragt, ob sie die Unterstützung der Polizei benötigten, um schneller aus der Hauptstadt rauszukommen, aber das hat Trine abgelehnt. Was sie bereut, als sie an der ersten Kreuzung feststecken. Erst vorm Vålerenga-Tunnel löst sich der Stau wieder auf, um in der Höhe von Furuset erneut zu stocken und an der Ausfahrt nach Olavsgård gleich schon wieder. Trine sieht auf die Uhr. Vor einer halben Stunde kam der Anruf. Hoffentlich kommt sie nicht zu
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