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Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Titel: Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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worüber er mit ihnen reden sollte. Außerdem braucht er jede Minute seiner Freizeit für seine Familie und für den Sport. Da ist kein Raum mehr für andere.
    Er blickt auf den ersten Namen auf dem Zettel, Markus Gjerløw, und überprüft ihn im Strafregister. Kein Eintrag. Dann wählt er seine Nummer. Das A-Dur-Freizeichen wird von einer wachen Stimme unterbrochen: »Hallo?«
    Bjarne stellt sich vor und erklärt, weshalb er anruft.
    »Ich habe schon damit gerechnet, von der Polizei kontaktiert zu werden«, antwortet Gjerløw, und in seinem Tonfall klingt distanzierte Verachtung mit.
    Bjarne versucht, seine unwillkürlich aufkeimende Wut im Griff zu behalten, und hustet in seine Handfläche. »Ich möchte mir einen Überblick verschaffen, was am Sonntagnachmittag auf der Station vor sich gegangen ist. Wissen Sie noch, wann Ihre Gruppe gekommen und wann sie wieder gegangen ist?«
    »Ich weiß natürlich nicht genau, wann die anderen da waren, aber ich kam kurz nach drei, halb vier. Gegangen bin ich so gegen fünf. Ich habe allerdings nicht auf die Uhr gesehen, als wir das Pflegeheim verlassen haben.«
    Bjarne notiert sich die Zeiten. » Wir , sagten Sie. Sind Sie denn mit den anderen gemeinsam gegangen?«
    »Ja, bin ich. Also, wir sind nicht gemeinsam im Fahrstuhl nach unten gefahren, wenn Sie das meinen. Dafür ist der gar nicht groß genug.«
    Bjarne nickt. Er denkt daran, wie er neben Sandland in dem Fahrstuhl gestanden hat. Er hat ihre Komfortdistanz merklich überschritten; sie ist ihm nicht annähernd nah genug gewesen.
    »Waren Sie früher schon bei diesen Singkreisen dabei?«, fragt er Gjerløw.
    »Ja, war ich.«
    »Ist Ihnen an diesem Sonntag irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
    Es wird still. »Hm, ich weiß nicht recht …«
    »Hat sich irgendjemand anders verhalten als sonst immer? Ein Patient vielleicht oder ein Angestellter … oder sonst jemand?«
    »Nicht, dass ich mich erinnern könnte.«
    Bjarne legt den Stift beiseite. »Wie gut kennen Sie die anderen Ehrenamtlichen?«
    Gjerløw seufzt wieder. »Eigentlich kenne ich nur Remi. Ob die anderen sich untereinander kennen, kann ich Ihnen nicht sagen.«
    Bjarne nickt und blickt auf das Blatt Papier vor sich. Es ist noch fast unbeschrieben.
    »Warum haben Sie sich für diese ehrenamtliche Arbeit gemeldet?«
    Gjerløw antwortet nicht gleich. »Es ist gut, helfen zu können«, sagt er schließlich. »Ein Lichtblick im Alltag. Sie sollten das mal probieren.«
    Die Worte brennen auf Bjarnes Gesicht wie eine Ohrfeige, und er weiß nicht, was er antworten soll.
    »Wollen Sie sonst noch etwas wissen?«, fragt Gjerløw. »Ich war gerade auf dem Weg nach draußen.«
    »Nein«, sagt Bjarne. »Danke für Ihre Mithilfe.«
    Bjarne nutzt die nächste Stunde, um die anderen vier Ehrenamtlichen anzurufen, aber keiner von ihnen kann einen vielversprechenden Hinweis geben. Doch alle bestätigen, dass sie das Heim wie üblich mehr oder minder gleichzeitig verlassen haben.
    Bjarne schüttelt den Kopf, während er den Fall für sich aufzusummieren versucht. Erna Pedersen wird erwürgt, bevor der Täter ihr ihre eigenen Stricknadeln in die Augen bohrt. Des Weiteren zerschmettert er ein Foto der Familie ihres Sohnes und entfernt ein weiteres Bild – ein Klassenfoto – vom Tatort, ohne dass jemand irgendetwas gesehen oder gehört hätte.
    Das Einzige, was die Aufmerksamkeit der ganzen Station am Nachmittag auf sich gezogen haben könnte, war der Singkreis der Ehrenamtlichen. Es könnte sich jemand von der Veranstaltung fortgeschlichen haben und in Erna Pedersens Zimmer gegangen sein, um sie zu töten. Das Ganze muss nicht länger als ein paar Minuten gedauert haben, und niemand hätte etwas gehört. Pedersen war nicht in der Lage, sich bemerkbar zu machen, und ihr Zimmer lag ein ganzes Stück vom Fernsehraum entfernt, in dem der Singkreis abgehalten wurde. Abgesehen davon ist es nicht schwer, einen Fotorahmen verschwinden zu lassen. Man braucht bloß eine Mappe oder eine Jacke mit großen Taschen.
    Aber warum die Augen … Und was hat es mit dem verschwundenen Bild auf sich? Sollte sie es sich erst ansehen, bevor er sie ermordet hat?
    Ella Sandland klopft an und steckt den Kopf zur Tür herein. »Ich habe gerade einen Anruf von der Kriminaltechnik erhalten«, sagt sie zufrieden. »Auf den Stricknadeln sind Fingerabdrücke gefunden worden, die nicht Erna Pedersen gehören.«
    Bjarne sieht sie aufmerksam an. »Okay? Und wem gehören sie dann?«
    38
    Graue Wolken hängen

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