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Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Titel: Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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die Zeit stehen blieb. Er hoffte, es bei den Fischen zu sehen, die er unten am Vippetangen fing, deren quicklebendige, glatte Körper er in Händen hielt und denen er schließlich das Genick brach. Er sah das Blut, spürte das Zucken unter seinen Fingern, aber die Augen der Fische veränderten sich nicht. Er hat sie nie sterben sehen.
    Auch nicht den alten Drachen. Sie war tot, ehe der Schleier vor seinem Blick wich und er endlich wieder scharf sehen konnte.
    Doch jetzt hat er es gesehen. Und verstanden.
    Das ist es, wovon alles handelt. Das ist das, wonach er immer gesucht hat.
    Immer wieder kehren seine Gedanken zurück zu dem Moment, da das Licht in ihren flehenden Augen erlosch. Es ist, als wäre dieses Licht zu einem Teil von ihm geworden, als strahle es jetzt aus seinen Augen auf den vor ihm liegenden Weg. Von nun an wird es leichter sein, die richtigen Dinge zu tun. Als hätte etwas in ihm endlich seinen richtigen Platz gefunden.
    Deshalb ist er auf dem Weg nach Hause.
    Ein letztes Mal.
    Als kleiner Junge hat er das Zugfahren geliebt. Und die Züge. Bevor sie mit ihren Fahrrädern die Schienen überquerten, haben sie immer nach rechts und links geschaut und dann wieder nach rechts. Oder war es umgekehrt? Das Spannendste und zugleich auch Unheimlichste, das er sich vorstellen konnte, war, auf dem Bahnsteig in Nordby zu stehen, wenn ein Zug vorbeidonnerte, ganz dicht an der Bahnsteigkante. Die Lautstärke, die unbändige Kraft, der Luftzug – es warf einen fast um.
    Er sieht die kleine Stadt seiner Kindheit vor sich, die inzwischen keine Kleinstadt mehr ist. Alles ist anders. Die Häuser, die Menschen, die Autos – er findet den Weg, kennt sich aber nicht mehr aus. Alles ist größer, alles ist anders. Er ist anders.
    Menschen steigen ein und aus. Die Türen schließen sich, und der Zug rollt schnaufend weiter. Ihm ist nicht danach, an der nächsten Station auszusteigen, am liebsten würde er einfach nur sitzen bleiben, die Welt an sich vorbeigleiten lassen und zusehen, wie der Herbst sich auf die Hausdächer senkt und den Himmel einfärbt. Aber auch das geht nicht.
    Der Zug wird wieder langsamer. In Nordby steigt er aus. Auch dieser Ort ist nicht mehr so, wie er ihn in Erinnerung hat. Das Bahnwärterhäuschen, auf das sie »Pise« und »Nute« geschmiert haben – Doppelkonsonanten? Nie gehört –, das Bahnwärterhäuschen gibt es nicht mehr. Jetzt steht da ein großer, durchsichtiger Glaskasten. Auch der ursprüngliche Bahnsteig ist ausgetauscht worden. Statt Holzplanken ist da jetzt Beton.
    Er geht am Pflegeheim Østafor vorbei. Die alte Hexe hätte ihre letzten Tage auch durchaus hier verbringen können. Von der Veranda aus hätte sie die Züge vorbeifahren sehen, aber dann hätte sie vielleicht nicht an Bruchstriche gedacht.
    Ein paar Minuten später steht er vor der Tür seines Elternhauses. Es ist eine Weile her, dass er zuletzt hier gewesen ist. Bevor er hineingeht, wirft er einen Blick in den Garten und sieht den wirbelnden Schnee vor sich – an jenem Tag, als die Schneedecke nachgegeben und das Licht in Werners Augen gelöscht hat. Es ging alles so schnell. Aber noch jetzt, so viele Jahre später, spürt er, wie sich seine Nackenhaare aufstellen.
    Er öffnet die Tür und tritt ein. Sieht sie in ihrem grünen Stressless-Sessel zusammenzucken, in dem sie immer sitzt und stickt, doch schnell wird aus ihrer Überraschung Freude. Und einen kurzen Augenblick lang denkt er, dass es genauso sein muss. Dass man so reagiert in einer Familie.
    Er hat sich schon oft gefragt, wie er selbst als Vater wäre und ob auch seine Kinder sich an die Bahnsteigkante stellen würden, wenn ein Zug vorbeirauscht. Ob sein Sohn auch so stottern würde wie er selbst, ob etwas aus ihm werden würde – jemand, auf den man sich verlassen könnte. Denn man gibt schließlich nicht nur Haar- und Augenfarbe an seine Kinder weiter. Vielleicht würde Sebastian sich die Freiheit erkämpfen, vielleicht wäre er ein anderer – sein genaues Gegenteil, so wie er selbst es sich als Kind so verzweifelt gewünscht hat? Er wollte Pilot werden, nein, eigentlich wollte er Schlachter werden, weil er so eine Wahnsinnslust hatte, in die Bäuche toter Tiere zu schauen. Und dann wollte er Jäger werden und schließlich Fußballprofi. Und irgendwann dann gar nichts mehr.
    Sie kommt auf ihn zu, breitet die Arme aus und zieht ihn an sich. Und er steht da, mit hängenden Armen, und riecht ihren vertrauten Duft, Süßes gemischt mit Aromen aus der

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