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Verlieb dich nie in einen Vargas

Verlieb dich nie in einen Vargas

Titel: Verlieb dich nie in einen Vargas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Ockler
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ihn.« Die Erinnerungen an jene Nacht im Wald, an die Motorradfahrt, den Geschmack seiner Lippen, den Schmerz in seinen Augen am Tag zuvor … sie alle zogen an mir vorüber.
    »Hat er dir erzählt, warum er die Schule geschmissen hat?«, fragte Papi.
    »Nein. Ich habe ihn ein Mal danach gefragt, aber ein komisches Signal bekommen. So als wollte er nicht darüber reden. Es ist seltsam mit ihm, Papi. Wenn er keine Scherze macht oder über Motorräder redet, sagt er nicht allzu viel. Wenn es um seine Familie geht, ist er genauso. Es ist, als verspüre er im tiefsten Innern den Wunsch, überhaupt nichts von sich preiszugeben.«
    Aber du fragst mich nicht die Dinge, auf die es ankommt. Wer ich bin oder wo ich gewesen bin. Was ich sehe, wenn ich dich anschaue. Was ich will …
    Echos. Worte von jenem Abend in unserer Einfahrt, nach Alice im Wunderland . Sie hingen wie Rauch in der Luft und ich riss sie vom Himmel und vergrub sie zusammen mit den Erinnerungen an all die guten Dinge tief in mir.
    Wir folgten dem Pfad durch die Bäume – nach Karamell duftende Ponderosa-Kiefern, wie ich inzwischen wusste –, der hinunter zum Animas führte. Das Wasser strömte an diesem Tag gemächlich und träge dahin, im Gegensatz zu allem, was in mir brodelte und schäumte, und wir fanden ein trockenes Plätzchen am Flussufer und zogen unsere Schuhe aus und tauchten unsere Zehen ins Wasser.
    Papi ließ die Füße ins Wasser klatschen, beobachtete, wie die Wellen, die er geschlagen hatte, flussabwärts trieben. »Vor ein paar Jahren hatte ein Junge, der kaum älter war als du jetzt, auf der Phantom Road einen Motorradunfall. In jener Nacht herrschte Nebel in den Bergen und die Sicht war schlecht. Sie vermuteten, er habe die Straße aus den Augen verloren und sei auf dem Seitenstreifen gelandet und habe dann die Kontrolle über sein Motorrad verloren, als er es zurück auf die Straße lenken wollte.«
    Mich schauderte. Menschen verunglückten mit Motorrädern, das war mir klar gewesen, aber als ich jetzt davon hörte, konnte ich nicht anders, als Emilio vor mir zu sehen. Es durchfuhr mich schneidend und schnell, der Schnitt ging tiefer als anderntags, als ich mir Papi vorgestellt hatte, weil Emilio nach wie vor Motorrad fuhr. Ständig und überall.
    War er nachts auf der Phantom Canyon Road unterwegs? Hatte er von dieser Geschichte gehört? Mein Herz schlug plötzlich schneller, und ich hielt den Atem an, als Papi fortfuhr.
    »Er prallte gegen einen Baum, wurde in dem Wrack eingekeilt … neunzehn Jahre alt, wie Emilio.«
    Pancake lief am Ufer auf und ab, schnüffelte an Blumen und Käfern und anderen Lebewesen und tapste über Papis Füße, wenn sie ihm im Weg waren.
    »Ich habe davon gelesen, als es passiert ist.« Papi beugte sich vor, um ein paar Steine vom Boden aufzuheben. »Wir kannten die Familie natürlich, wegen deiner Schwester … Ay, Dios .« Er ließ die Steine von einer Hand in die andere fallen, hin und her, und als er mich schließlich ansah, schimmerten seine Augen feucht. »Es war sein Cousin, querida . Sie standen sich sehr, sehr nahe. Er hat mir ein wenig über ihn erzählt.«
    Ein weiterer Schauer, kalt wie Eis, rieselte von meinem Schädel bis hinunter zu meinen Zehen. Papi musste nicht sagen, wessen Cousin. Ich spürte in den Knochen, dass er von Danny sprach, und mein Herz wurde schwer, als einige der Puzzleteile ihren Platz fanden. Das Bild in Emilios Zimmer, zwei schlammverschmierte Jungen. Susanas Spielzeug-und-Kerzen-Schrein. Die viele Zeit, die Emilio und Papi allein im Schuppen verbracht hatten, das Band, das zwischen ihnen bestand.
    Papi warf die Steine ins Wasser und wandte mir sein Gesicht zu. In seinen Augen standen Tränen, aber er blinzelte sie nicht weg oder räusperte sich, als handle es sich nur um ein Kratzen im Hals, ein Niesen, das nicht herauswollte.
    »Juju, Emilio war dort. Dieser Danny … er war ungefähr eine halbe Meile vor ihm auf der Straße. Emilio hat nicht gesehen, wie der Unfall passiert ist, aber er hat es gehört. Als er um die Kurve bog, sah er das Wrack. Er kam schlingernd zum Stehen und ließ sein Motorrad mehr oder weniger einfach fallen …« Papi presste die Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger zusammen, und als er weitersprach, wurden seine Worte von seiner Hand gedämpft.
    »Er schoss zu dem Baum, versuchte, das Motorrad von Danny runterzuzerren, aber es war zu schwer und übel zugerichtet. So viel verbogenes Metall … alles scharkantig und glühend heiß … Ay,

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