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Verlieb dich nie nach Mitternacht

Verlieb dich nie nach Mitternacht

Titel: Verlieb dich nie nach Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Kent
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wankte Friedrich aus dem Zimmer, in dem Agnes in ihrem eigenen Blut ertrunken war. Grete, Jan und die anderen, die sich fassungslos vor der Tür versammelt hatten, wichen zurück, als er auf sie zukam. Er schien durch sie hindurchzusehen.
    Grete stieß Jan in die Rippen. Ohne zu zögern, lief er an Friedrich vorbei die Treppe hinunter, bereit ihn aufzufangen, wenn er fiel.
    Auf dem Boden an der Wand kauerte Lisette. Sie hatte ihre Beine mit den Armen umfasst, ihr Kopf lag auf den Knien. Ihr heftiges Schluchzen zerriss die Stille. Heinrich, der Knecht, sonst kein Mann gelebter Gefühle, streichelte ihr schüchtern über das Haar. Tränenüberströmt schaute sie zu ihm auf.
    »Ich bin schuld, Heinrich. Ich habe die gnädige Frau getötet.«
    »Hör auf, dich zu quälen. Wir werden heiraten und Kinder kriegen, und alles wird wieder gut.« Sein Herz weinte, als er ihren erschrockenen Blick auffing. Doch seine Hand glitt zu ihrem Bauch und schützte ihn. »Auch dieses Kind werde ich von ganzem Herzen lieben.« Seine Güte beschämte Lisette tief. Sie schmiegte ihr Gesicht an seine breite Brust und wünschte sich von ganzem Herzen, ihm stets eine gute Frau sein zu können.
    Ein Stockwerk tiefer stieß Friedrich die große Eingangstür auf. Auf der Schwelle blieb er stehen, starrte wie betäubt in die Nacht. Das blutgetränkte Hemd, das er trug, klebte ihm am Körper. Als der kalte Februarwind ihn traf, schüttelte es ihn, ohne dass es in sein Bewusstsein drang.
    Agnes, seine Frau – tot.
    Wilhelm, sein einziges Kind – tot.
    Gott, was habe ich dir getan?
    Wo liegt der Sinn?
    Maribel.
    Maribel. Maribel – ihr Name geisterte ihm im Kopf herum. Wild blickte er um sich. Er musste sie finden.
    Sie allein trug die Schuld an seinem Leid.
    »Glotz nicht so!«
    Ben hob erschrocken den Kopf. Er hatte Friedrich nicht kommen gehört. Verträumt haftete sein Blick auf dem Taler, den Andrej ihm geschenkt hatte. Ein Vermögen, mit dem er seine Mutter überraschen wollte. Er malte sich aus, wie sie vor Freude in Tränen ausbrechen würde. Die Sorge, wie sie die Kinder ohne ihren Mann durchbringen sollte, ließ sie kaum noch schlafen.
    »Glotz nicht so, habe ich dir gesagt!«, wiederholte Friedrich, diesmal zu Recht.
    Mit offenem Mund starrte Ben auf das blutdurchtränkte Hemd seines Herrn. Instinktiv zog er den Kopf zwischen die Schultern. Etwas Schreckliches musste passiert sein. Ob Friedrich eines der Tiere geschlachtet hatte? Aber er schlachtete nie selbst. Angstvoll wollte Ben an Friedrich vorbei zu seiner Mutter ins Haus rennen. Doch der packte ihn am Ärmel. Wie von Sinnen begann er, Ben zu schütteln. Der Junge fürchtete sich vor ihm, schrie laut.
    »Du weißt, wo sie ist!«
    »Ich weiß nichts, gnädiger Herr.« Ben flatterte mit den Armen wie ein in die Falle geratener Vogel.
    »Von Anfang an habt ihr zusammengesteckt.«
    »Ich weiß nicht …« Ben begann, angstvoll zu wimmern. Friedrich, sein Herr, der immer ein offenes Ohr für ihn hatte, schien plötzlich ein anderer Mensch zu sein. Menschen veränderten sich, wenn sie betrunken waren, doch Ben roch keinen Branntwein.
    »Du und deine Freundin Maribel. Wo steckt sie?«
    Wenn doch bloß dieses Schütteln aufhörte. Jeden Augenblick konnte sein Kopf vom Hals abfliegen. Ihm wurde schwindelig.
    »Weg. Maribel ist weg.«
    Sein Kopf tat ihm weh. Ihm war übel, so übel.
    Die Worte bohrten sich in Friedrichs Bewusstsein. Angeekelt stieß er den Jungen von sich, als der sich auf seine Stiefel erbrach. Friedrich fühlte kein Mitleid, als er auf ihn hinabblickte. Er fühlte nichts. Seine Seele war taub und schwarz vor Schmerz.
    »Was heißt: Sie ist weg? Wo ist sie?« Ungeduldig stieß er mit der Stiefelspitze nach dem Jungen. Spuckend und würgend suchte Ben nach einer Antwort.
    »Sie ist weggeritten. Mit Andrej.«
    »Dem Kosak? In welche Richtung?«
    Nur mit großer Mühe schaffte der Junge es, den Arm zu heben und in die Richtung zu zeigen, in die Maribel mit Andrej verschwunden war.
    »Nach Hause. Sie will nach Hause.« Kraftlos sank Bens Kopf auf die kalten Pflastersteine nieder. Bitterlich begann er zu weinen. Den Taler umklammerte er, als hinge sein Leben von ihm ab.
    Friedrich achtete nicht mehr auf ihn. Er lief bereits hinüber zum Stall.
    Maribel wollte fliehen. Es würde ihr nicht gelingen.
    *
    »Riechst du es?« Hintereinander folgten Maribel und Andrej dem Trampelpfad. Keine Sekunde ließ Maribel dabei die Baumgruppe aus den Augen, die ihr schon einmal als

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