Verliebt, verlobt und eingesargt
Ferry langsam zum Tisch, legte eine Hand auf die Kante, stützte sich so ab und zog sich an dem Möbelstück hoch. Auf den eigenen Beinen konnte er nicht stehen. Er ließ sich in den Sessel fallen und sank darin ein wie in eine Wanne mit Watte.
Da blieb er sitzen. Sein Blick war leer. Er traute sich nicht, den Toten anzustarren, aber er wollte auch nicht das grauenvolle Mordinstrument fixieren.
Zitternd hockte er auf seinem Platz und preßte seine Hände gegen die Wangen.
Zeit verging.
Minuten reihten sich aneinander, wurden zuerst zu einer Viertelstunde, dann zu einer halben. Als diese Zeit ebenfalls um war, hob er plötzlich den Kopf, stand auf und schritt wie eine Marionette auf das dunkle Regal neben dem Fernseh-Apparat zu. Er nahm dort eine Flasche, entkorkte sie und trank den Brandy mit einem langen, tiefen Schluck. Danach ging es ihm zwar nicht besser, aber er fühlte etwas Wärme in seinem Magen. Allmählich begann sein Gehirn wieder zu arbeiten. Ihm war plötzlich klar, daß er etwas unternehmen mußte. Er hatte einen toten Polizisten in der Wohnung liegen. Wenn er jetzt dessen noch lebende Kollegen anrief, würden die nach einer Erklärung verlangen, die er ihnen zwar geben konnte, wobei er sehr unsicher war, ob man ihm auch glaubte.
Sie würden ihn einsperren, verhören, und in der Zwischenzeit bekam der wahre Täter oder die wahre Täterin Zeit genug, um weitere Morde zu begehen.
Wer konnte ihm helfen?
Da gab es eigentlich eine Antwort. John Sinclair. Aber den traf er erst bei Dunkelheit auf dem Friedhof. Sid Ferry wischte über seine Stirn. Er schwitzte stark, sein Herz trommelte, der Schweiß lag auch auf seinen Handflächen, und er dachte daran, daß er noch nie einen so großen Streß erlebt hatte wie an diesem Tag. Streß und auch Angst. Beides mußte er überwinden.
Sicherlich hatte sich Kruse bei seiner Dienstelle abgemeldet und hinterlassen, wen er besuchen wollte. Wenn er vermißt wurde, kam man sowieso auf seine Spur.
Aber wann war das? Wie viele Stunden Vorsprung konnte er noch bekommen? Vielleicht bis zur Dunkelheit?
Das wäre natürlich gut gewesen, wetten wollte er darauf nicht, jedenfalls wollte er auch den Toten nicht aus dem Zimmer schleppen und irgendwo hinlegen. Später, wenn hoffentlich alles vorbei war, konnten die Polizisten von ihm und auch von john Sinclair eine Erklärung bekommen. Jetzt aber mußte er an sich denken.
»Nein«, flüsterte er, und ein Ruck ging durch seine Gestalt. »Nicht nur an mich. Ich muß auch an jemand anderen denken.« Er drehte sich und schielte auf das Beil, das sich in Kopfhöhe ausgependelt hatte. »Nicht nur an mich«, wiederholte er sich, »auch an dich, meine Süße. Ja, an dich Susy.« Er nickte sich selbst zu und ging mit vorsichtigen Schritten dorthin, wo das Beil über dem Boden pendelte.
Seine Augen hatten einen starren Glanz bekommen. Die Lippen waren fest zusammengekniffen. Durch seine weiße Haut stach der Bart noch dunkler ab.
Als er seinen rechten Arm ausstreckte, zitterte seine Hand. Und sie zitterte auch, als die Finger den Griff des Beils umklammerten. Er faßte schließlich mit beiden Händen zu, hielt die Schlagwaffe fest und löste sie schließlich aus dem hart gedrehten Schlingenknoten. Fast wäre ihm die Waffe noch aus den Händen gerutscht und mit der Klinge auf seine Füße gefallen. Im Nachgreifen konnte er sie noch soeben schnappen. Das Beil war schwer. Wenn er das Haus verließ, mußte er es irgendwie verstecken.
Sid Ferry betrat den Nachbarraum, wo sich die Küche befand. Dort bewahrte er auch die Einkaufstüten aus Plastik auf. Sie besaßen unterschiedliche Größen.
Er suchte sich eine passende aus und schaute auch nach, ob sie nicht durchsichtig war.
Sie war es nicht. Jetzt mußte er nur noch zusehen, daß er unentdeckt das Haus verlassen konnte. Vor allen Dingen der Quatschtante aus dem Erdgeschoß wollte er nicht mehr über den Weg laufen. Einen letzten Blick warf er noch auf die Leiche. Die Tasche mit dem Beil trug er in der rechten Hand. Die linke ballte er zur Faust und gab sein Versprechen ab.
»Kruse, du bist nicht umsonst gestorben. Ich werde dich rächen, und ich werde dieser verfluchten Killerin den Kopf abschlagen, das verspreche ich dir…«
***
Ich hatte von der Fahrt so gut wie nichts mitbekommen und nur immer das Gefühl gehabt, durch einen Tunnel zu schweben, dessen Mauerwerk hin und wieder unterbrochen war, so daß Lichtstreifen mich berührten und wie helle Flecke über meine Augen
Weitere Kostenlose Bücher