Verliebt, verlobt, verflucht
überfordert, doch Natalie kannte den Laden fast auswendig. Scheinbar in wildem Durcheinander waren all die Gegenstände aufgebaut, die sich Luca Brebin hatte aufschwatzen lassen und wieder zu verkaufen versuchte. An Bienenkörbe erinnernde, warmes Goldlicht verströmende Laternen säumten die Gänge, die mit alten, schweren Teppichen ausgelegt waren, auf denen handgroße Zinnsoldaten mit Pudelmützen Gleichschritt übten.
Plötzlich schoss ein kleiner fliegender Drache auf Natalies Gesicht zu. Sie konnte sich gerade noch ducken und erwischte das Tier mit der Hand. Die blauschwarz schillernde Drachenhaut fühlte sich glatt an und erinnerte Natalie an Zanirra. Nur war der Drache in ihrer Hand kein furchterregendes Monstrum, sondern klein und süß. Mit seiner roten, gespaltenen Zunge leckte er an Natalies Hand und fing schließlich an, ihren Daumen zu lutschen.
»Oh, die Flugdrachen sind ja toll«, rief Natalie begeistert aus.
»Ja, die verkaufen sich wie warme Semmeln, die Kinder lieben sie.«
»Aber wie bist du überhaupt an sie gekommen? Sie sind ja noch ganz klein, brauchen sie keine Mama?«, fragte Natalie und kraulte den kleinen Babydrachen am Hals.
Luca Brebin wirkte ein wenig verlegen, räusperte sich und blickte zur Decke hinauf.
»Naja, die Mama ist nicht weit weg, wie du siehst.«
Natalie legte ihren Kopf in den Nacken und glaubte zu träumen. Im Dachgebälk war die Silhouette eines schwarzblauen Drachen zu erkennen, der laut schnarchend schlief und dabei schwarzen Rauch aus seinen Nüstern blies, der in feinem, schwarzem Staub zu Boden rieselte. Sein zackiger Schwanz hielt den Kronleuchter, der den Laden in unruhiges, flackerndes Licht tauchte. Natalie wandte ihre Augen von dem Scheusal ab. Vor zwei Tagen hatte sie es zum ersten Mal gesehen. Es war Zanirra.
»Woher hast du den Drachen?«
»Och, ein Händler hat ihn mir verkauft«, antwortete Luca. »Er hat mir einen guten Preis gemacht und mir versichert, es sei ein Drache aus dem Schattenreich.«
»Papa, bist du irre? In Peretrua darf man doch keine Drachen halten!«
»Ich habe eine Sondererlaubnis erhalten«, murmelte Luca zu seiner Verteidigung. »Außerdem sieht ihn doch da oben keiner!«
Natalie traute ihren Ohren nicht. »Und was, wenn doch jemand auf die Idee kommen würde, sich einfach mal umzusehen und dabei nach oben blickt?«
»Du hast ja Recht. Aber das ist auch nur vorübergehend, bis ich einen anderen Platz für den Drachen gefunden habe. Ich habe schon beim Zoo angefragt.«
Natalie fühlte sich veräppelt. Vermutlich sollte der Drache zum Orden der Sefloradas gebracht werden.
Sie wollte gerade etwas entgegnen, als der kleine Drache sie in den Daumen biss. »Autsch!« Tränen traten in ihre Augen.
»Oh, das tut mir leid! Sie sind noch nicht gut erzogen, musst du wissen«, entschuldigte sich ihr Vater und bugsierte sie zu einem Sessel. Schweinsnase wuselte eilig mit einem Verbandskasten herbei.
Luca Brebin schnitt ein Stück von einer Seetangrolle ab, träufelte etwas Drachenblut aus einer Flasche darauf und verband damit Natalies Wunde. Währenddessen schob Schweinsnase Natalie einen Feg-die-Sorgen-weg-Keks von der Fabelhaften Keksbäckerei in den Mund, der mit Himbeergelee gefüllt und mit roter Erdbeerschokolade überzogen war. Augenblicklich ging es ihr besser. Während sie den Keks aß, erzählte ihr Vater munter Anekdoten von der heutigen Kundschaft, doch Natalie hörte kaum zu. Wie sollte sie das Gespräch auf die Frage leiten, die ihr so sehr unter den Nägeln brannte? Angst breitete sich in ihr aus und lähmte ihre Gedanken. Doch schließlich platzte es aus ihr heraus, ohne dass sie es hätte verhindern können: »Warum habt ihr mir nichts erzählt?« In ihrer Stimme klangen Zorn und Enttäuschung mit.
»Wie, was nicht erzählt?«, fragte Luca irritiert.
»Du weißt genau, wovon ich rede«, rief Natalie zornig, ihre Stimme bebte. »Ihr seid in einem Geheimorden und spielt mir fünfzehn Jahre lang etwas vor!«
Natalie sah ihren Vater lange an und studierte seine Gesichtszüge. Matt sah er zu Boden, stützte seinen Kopf in die Hände und sah seine Tochter schließlich durchdringend an.
»Natalie, ich weiß, das zu glauben fällt dir jetzt schwer! Aber wir wollten dich nur schützen. Du solltest eine unbefangene Kindheit haben und eine unbeschwerte Jugend genießen.«
In Natalie brodelte es. »Und wann wärt ihr auf die Idee gekommen, mich einzuweihen? Wisst ihr eigentlich, wie es sich anfühlt, wenn man von seinem
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