Verliebt, verlobt - verrueckt
oder es setzt was!« Aber das würde Amelie als Kabarett deuten und in Gelächter ausbrechen. So ist das mit einer emanzipierten Frau.
Sobald sie mit der Lektüre fertig ist, soll auch ich zu lesen aufhören, weil wir über die Verteilung der täglichen Aufgaben sprechen müssen. Erst sagt jeder, wie sehr er unter Stress steht, dass er einen Text fertig schreiben und mindestens zehn wichtige Telefonate führen muss. Dann erklärt sich jeder seufzend bereit, ein Kind von der Schule abzuholen oder einkaufen zu gehen oder das andere Kind zum Arzt zu bringen oder den Müll zum Wertstoffhof. Wir besitzen beide ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, merken sofort, wenn einer benachteiligt oder bevorzugt wird und bemühen uns um Ausgleich. Das fällt uns manchmal nicht leicht, weil wir unsere Arbeit lieben. Aber wir lieben auch unsere Kinderâ und trotz des Kampfs um die Zeitungâ immer noch uns.
Als ich Amelie geheiratet habe, ging der Trend zwar noch zur deutschen Frau, trotzdem wurde ich gewarnt. Es könne anstrengend werden mit einer wie ihr, meinten manche Ratgeber. Tatsächlich stellte Amelie vom ersten Tag an jedes althergebrachte männliche Privileg auf den Prüfstand.
Das Chauffeusenprivileg, zum Beispiel. Ich lernte schnell, dass man in der gleichberechtigten Ehe vorher ausmacht, wer trinkt und wer fährt, und dass man sich dabei möglichst abwechseln sollte. Oder das Sexprivileg. Meine Mutter hatte mir erklärt, eine brave Ehefrau sei allzeit bereit. Mit so was müssen Sie mal Amelie kommen! Sie sei doch keine Pfadfinderin, erklärte sie mir, und seither herrscht auch beim Sex Gleichberechtigung. Oder das Ernährerprivileg. Als ich Amelie kennenlernte, war sie beruflich bereits etabliert, ich hingegen noch ein wenig beschäftigter und unterbezahlter Drehbuchautor. Doch sie fand es nicht wichtig, wie gut ich verdiente, sie hatte auch so Respekt vor meiner Arbeit. Und wenn es darum ging, der Kinder wegen auf wichtige berufliche oder gesellschaftliche Termine zu verzichten, musste jeder von uns zurückstecken.
Da ich nicht frei von männlichem Stolz bin, litt ich anfangs darunter, nicht wie mein Vater den groÃen Ernährer spielen zu dürfen. Bald aber wurde mir klar, was es bedeuten würde, als Autor die alleinige finanzielle Verantwortung für eine Familie zu tragen. Einige meiner mit viel Risiko verbundenen Herzensprojekte wären wohl nie realisiert worden.
Ãberhaupt stellte sich heraus, dass der Verlust alter Privilegien oft einen Gewinn an anderer Stelle bedeutete. Amelie beglückt mich zwar selten mit einem wachsweichen Ei zum Frühstück, ist aber emanzipiert genug, dass nichts ihre Lust am Kochen bremsen kannâ nicht einmal der Verdacht, in ein weibliches Rollenmuster zu verfallen. Für ihre köstlichen Gerichte verzichte ich gern auf alle Ãberraschungseier dieser Welt.
Vermutlich hatte es auch positive Folgen für meine charakterliche Entwicklung, dass Amelie mich dazu zwang, Bekleidungsgeschäfte zu betretenâ und das allein! Von Anfang an hat sie darauf geachtet, dass ich meine Ticks nicht pflege. Sie findet mich auch so unterhaltsam genug.
Meine Ratgeber haben recht behalten. Es ist wirklich anstrengend mit einer emanzipierten Frau wie Amelie. Sie haben sich nur getäuscht, wenn sie dachten, das würde mich unglücklich machen. Offenbar gibt es unterschiedliche Formen von Anstrengung in der modernen Ehe. Es muss die Hölle sein, wenn zum Beispiel immer wieder dieselben typischen, längst langweiligen Geschlechterkonflikte auftreten ( er spricht zu wenig, sie gibt zu viel Geld aus) und keine Lösung in Sicht ist. Oder wenn ein einzelner, armer Mann in seiner Ehe Wiedergutmachung für das von Männern über Jahrhunderte verbrochene Unrecht leisten soll. Die Anstrengung, für die Amelie sorgt, ist nicht frustrierend, sondern fordernd. Sie schaut bei Problemen nicht weg, sondern spricht sie an und bringt mich dazu, mit ihr über Lösungen nachzudenken. Sie ist offen für Kritik und zu Verhaltenskorrekturen bereit. Dasselbe verlangt sie von mir. So war unsere Ehe immer eine Herausforderung, aber eine, die uns zu zweit auf jeden Fall weiter gebracht hat, als wir alleine gekommen wären. Und daran sollte man jede Ehe messen: ob sie den Raum schafft, in dem zwei Menschen sich weiterentwickeln können.
Ach ja, die Sache mit der Zeitung. Ich hatte vergessen zu erzählen,
Weitere Kostenlose Bücher