Verliebt, Verrückt, Verheiratet: Roman
gebeten, dir Auf Wiedersehen von ihm zu sagen.«
Lilly fröstelte, obwohl es in der Küche sehr warm war. »Er geht weg?«
»Heute. Er will eine Weile in Mexiko leben, um dort mit dem Licht zu experimentieren.«
Sie hätte damit rechnen müssen. Hatte sie erwartet, dass er herumsitzen und darauf warten würde, dass sie ihre Meinung änderte? Alle, die Liam Jenners Kunst verstanden hatten, wussten, dass er in erster Linie ein Mann der Tat war. »Ach so.«
Molly stand auf und lächelte sie mitfühlend an. »Du hast das ganz schön vermasselt. Ich könnte zwar ohne dich hier nicht überleben, aber warum bist du eigentlich noch hier, jetzt wo Kevin fort ist?«
Lilly hatte vor, Kevin demnächst in Chicago zu besuchen. Keiner von ihnen wollte ihre Beziehung geheim halten, und Kevin war bereits nach North Carolina geflogen, um seinen Freunden, den Bonners, die Neuigkeiten zu erzählen. Er hatte außerdem Cals Brüdern, ihren Frauen und seinem Sitznachbarn im Flugzeug davon erzählt, wie er ihr bei ihrem letzten Telefongespräch berichtet hatte.
Lilly sehnte sich danach, ihn wieder zu sehen, aber sie brachte es noch nicht über sich, den Ferienpark zu verlassen.
Sie redete sich selbst ein, dass sie Molly zuliebe noch immer dort war. »Ich bin noch hier, um dir zu helfen, du undankbare kleine Kröte.«
Molly trug ihr Wasserglas zur Spüle hinüber. »Und außerdem?«
»Weil es hier so friedlich ist und ich Los Angeles hasse.«
»Oder vielleicht, weil du es nicht über dich bringst, von Liam Jenner wegzugehen, obwohl du ihn wie den letzten Dreck behandelt hast und ihn nicht verdienst.«
»Wenn du ihn so toll findest, nimm ihn doch selber. Du hast keine Ahnung, wie es ist, mit einem alles bestimmenden Mann verheiratet zu sein.«
»Als ob er dir nicht aus der Hand fressen würde, wenn du nur wolltest.«
»Du solltest nicht in diesem Ton mit mir reden, junge Dame.«
»Du bist so ein Dummerjan.« Molly lächelte. »Geh hoch und sieh nach, was er dir dagelassen hat.«
Lilly versuchte wie eine beleidigte Diva aus der Küche zu rauschen, aber sie wusste, dass Molly ihr das nicht abnahm. Die Frau ihres Sohnes hatte den gleichen offenherzigen, ehrlichen Charme wie Mallory. Warum merkte Kevin denn nicht, wem er da den Rücken gekehrt hatte?
Und was war mit dem Mann, dem sie den Rücken gekehrt hatte? Sie konnte noch immer nicht an ihrem Quilt weiterarbeiten. Wenn sie ihn jetzt betrachtete, sah sie nichts als Stofffetzen. Es gab keine Kreativitätsschübe mehr und keine noch so kleinen Einsichten in die Geheimnisse des Lebens.
Sie stieg in den zweiten Stock hinauf und ging dort zu der schmaleren Treppe, die auf den Dachboden hinaufführte. Kevin hatte sie zu überreden versucht, in eines der größeren Zimmer umzuziehen, aber Lilly gefiel es dort oben.
Sie schlüpfte in ihr Zimmer und sah eine große Leinwand, etwas breiter als hoch, die ans Fußende ihres Bettes gelehnt
war. Obwohl das Bild noch in Packpapier eingehüllt war, wusste sie genau, was es war. Die Madonna, die sie an jenem Nachmittag in seinem Atelier so bewundert hatte. Sie fiel auf dem Flickenteppich auf die Knie, hielt den Atem an und zog das Papier weg.
Aber es war gar nicht die Madonna. Es war das Porträt, das Liam von ihr gemalt hatte.
Ein Schluchzer entfuhr ihrer Brust. Sie hielt die Hand vor den Mund gepresst und wich zurück. Seine Darstellung ihres Körpers war gnadenlos. Er zeigte jede Falte, jedes abgesackte Körperteil, jede Vorwölbung, die eigentlich flach hätte sein müssen. Das Fleisch des einen Oberschenkels quoll über den Rand des Stuhles, auf dem sie saß, hinaus; ihre Brüste hingen schwer herab.
Und doch war sie grandios. Ihre Haut leuchtete in einem Glanz, der aus ihrem tiefsten Innersten zu kommen schien, ihre Rundungen waren stark und fließend, ihr Gesicht von majestätischer Schönheit. Sie war zugleich sie selbst und die Frau an sich, weise durch ihr Alter.
Dies war Liam Jenners endgültiger Liebesbrief an sie. Eine kompromisslose Darstellung von Gefühlen, die wahrhaftig und furchtlos waren. Dies war ihre Seele, offenbart von dem genialen Mann, den sie nicht für sich hatte gewinnen können, weil ihr der Mut dazu gefehlt hatte. Und jetzt war es dafür vielleicht zu spät.
Sie griff nach ihren Schlüsseln, flog die Treppen hinunter und rannte nach draußen zu ihrem Wagen.
Eines der Kinder hatte ein kunstvolles Häschen in die Staubschicht auf ihrem Kofferraum gemalt. Dann wurde ihr klar, dass die Zeichnung zu perfekt war.
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