Verlockend untot
ruinieren. Die Steuerfahndung habe ich ihm auf den Hals gehetzt, weil ich keine Möglichkeit sah, ihn zu töten. Es klappte nicht, aber ich wusste, dass er es nie vergessen und immer nach mir suchen würde.«
»Und ein Teil von dir wollte auch gar nicht, dass er mit der Suche aufhörte.«
Ich hatte mit dem Fingernagel an dem Etikett auf Pritkins leerer Bierflasche gekratzt und sah erstaunt auf. Bis er es gesagt hatte, war es mir nicht richtig klar geworden. »Vielleicht«, sagte ich langsam.
»Vielleicht wollte etwas in mir den Showdown, der mir vorenthalten blieb. Aber ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn er wirklich bei mir aufgekreuzt wäre. Ich bin keine ausgebildete Assassine, und selbst wenn ich das gewesen wäre …«
»Du bringst nicht einfach so jemanden um«, sagte Pritkin.
»Manchmal wünsche ich mir sehr, dazu in der Lage zu sein.«
Pritkin schwieg, aber ich sah ihm an, dass er gern weitere Fragen gestellt hätte. Ich zögerte, denn ich hatte nicht geplant, über das hier zu sprechen. Normalerweise sprach ich nie darüber. Aber er konnte es nicht verstehen, wenn ich es für mich behielt.
»Eugenie«, sagte ich schließlich und war stolz auf mich, denn meine Stimme zitterte nicht.
»Eugenie?«
»Meine Gouvernante. Tony sagte seinen Leuten, sie hätte mir zur Flucht verholfen und wüsste, wo ich mich befand. Aber das war gelogen. Das begriff ich, noch bevor ich sein Gesicht sah, als sie zerfetzt dalag und zu seinen Füßen verblutete.«
»Er hat sie ohne Grund getötet?«, fragte Pritkin behutsam.
Ich lachte und riss das Etikett von der Flasche. »Oh, er hatte einen Grund. Er war ein elender, wehleidiger, feiger, rachsüchtiger Mistkerl und wütend darauf, dass ein kleiner Mensch so nahe daran gewesen war, ihn zu ruinieren. Dafür musste jemand bezahlen. Jemand musste bluten. Und umso besser, wenn mich der Tod dieser Person schwer treffen würde.«
Er hatte mich schwer getroffen. Es hatte so wehgetan, als hätte ich selbst dort gelegen. Aber noch schlimmer war die folgende lähmende Furcht gewesen. Aus jemandem, der alles riskiert hatte, um Tony zu Fall zu bringen, wurde jemand, der sich so sehr fürchtete, dass er sich in seiner Wohnung verkroch.
»Die ersten sechs Monate nach Tony waren die schlimmsten meines Lebens«, sagte ich. »Weil er mich nicht mehr gefangen hielt, sondern ich mich selbst. Ich war so sicher, dass er mich finden würde, dass ich so enden würde wie Eugenie, dass ich überhaupt nichts mehr machte. Ich verließ meine Wohnung nur noch, um Arbeit zu suchen und einzukaufen, für das Nötigste. Und anschließend kehrte ich sofort heim. Leute im Gefängnis haben mehr menschliche Kontakte als ich zu jener Zeit.«
»Aber du hattest einen Mitbewohner«, sagte Pritkin.
»Das kam später. Als ich wieder damit begann, auszugehen und Leute zu treffen. Als bei mir der Groschen gefallen war.«
»Der Groschen?«
»Als ich begriffen hatte, dass dies mein Leben war. Und dass ich es keinem Mistkerl überlassen durfte, darüber zu entscheiden, wie ich es leben sollte. Ich traf meine Entscheidung: Ich wollte Tony keine derartige Macht über mich geben und selbst über mein Leben bestimmen.«
»Du bist eines Tages aufgewacht und hattest keine Angst mehr.«
Pritkins Gesichtsausdruck war unverändert, aber aus irgendeinem Grund klang er fast wütend.
Ich dachte an meine Darbietung vor einem Tag, wie ich ein Haufen Elend auf dem Badezimmerboden gewesen war, und schnitt eine Grimasse. »Nein, ich meine, man wacht nicht einfach so ohne Angst auf, oder? Zumindest war das bei mir nie der Fall. Und wenn so etwas möglich wäre, hätte es inzwischen geschehen sollen.«
»Was macht man dann?« Pritkin beugte sich über den Tisch und kam mir so nahe, dass ich den Ring aus Jade sehen konnte, der die Iris beider Augen umgab, und die helle Mischung aus Bernstein-farben und Grün, die bis zu den Pupillen reichte. Ich sah Streifen, Speichen aus Gold und braune und smaragdgrüne Flecken – aus der Ferne gesehen verschmolz das alles zu einheitlichem Grün.
Wunderschön
, dachte ich, und dann wich Pritkin plötzlich zurück und wandte den Blick ab.
»Man macht weiter«, sagte ich nach einer kurzen Pause. »Und ja, manchmal hat man Angst. Aber das ist besser, als immer Angst zu haben, und besser, als sein Leben nur von Angst bestimmen zu lassen. Was unter anderem bedeutet, dass ich mich nicht ›zu meinem eigenen Besten« einsperren lasse. Ich werde Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, so viele wie
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