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Verlockend untot

Verlockend untot

Titel: Verlockend untot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Chance
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dass die Spartoi unter die Räder des Zuges geraten waren, weil… Wohin sollten sie sonst verschwunden sein? Der Platz im Tunnel reichte gerade für die Waggons, mit einem schmalen Spielraum auf beiden Seiten und oben, damit sie nicht an die nur wenige Zentimeter entfernten gewölbten Wände stießen oder über die Decke schrammten. Für einen erwachsenen Mann war es schlicht und einfach unmöglich, sich in einen so engen Zwischenraum zu quetschen. Teufel, selbst ich wäre dazu nicht imstande gewesen, und dieser Bursche wog dreißig oder vierzig Kilo mehr als ich.
    Dennoch kletterte er durchs Fenster.
    Ich beobachtete ihn, hin- und hergerissen zwischen Faszination und Entsetzen, als sein Körper in der Breite schrumpfte und länger wurde, als er fast schlangenartig durchs Fenster glitt. Er hätte das restliche Glas aus dem Fensterrahmen schlagen und sich so etwas mehr Platz verschaffen können, aber darauf verzichtete der Typ. Er rutschte einfach durch die kleine Öffnung, als hätte er nicht einen Knochen im Leib, als wäre sein Körper eine amorphe, beliebig verformbare Masse. Das Gesicht, das mich eben so verblüfft hatte, hielt eine weitere Überraschung für mich bereit, denn es zerfloss regelrecht, mit zwei Augen, die in einer gallertartigen Masse schwammen.
    Zwei Augen, die ihren Blick direkt auf mich richteten.
    Ich gab ein Geräusch von mir, das irgendwie zwischen Panik und Abscheu angesiedelt war, und wankte zurück, was der Bursche zum Anlass nahm, ganz durchs Fenster zu gleiten. Kaum war er im Waggon, begann sich seine Gestalt wieder zu verfestigen. Knochen, Muskeln, Gliedmaßen, alles nahm wieder den gewohnten Platz ein – es sah nach einem Ballon aus, der sich schnell zusammenzog.
    Plötzlich dachte ich nicht mehr daran, dass ich meinen Mageninhalt zu verlieren drohte, und konzentrierte mich stattdessen auf das Gewehr, das in die Menge zielte.
    Genauer gesagt: auf den Hinterkopf meiner Mutter. Ich wusste nicht, warum er auf sie anlegte, während ich bei ihm stand, aber in diesem Moment war mir das auch egal.
    Ich sah sie im nächsten Waggon – ihr kupferfarbenes Haar glänzte im Notlicht, als sie den Kopf drehte und offenbar nach jemandem Ausschau hielt. Sie drängte nach vorn und rief etwas, das ich in all dem Geschrei, dem Rasseln des Zuges und dem Rauschen des Bluts in meinen Ohren nicht verstand. Und dann packte ich den langen Lauf und drückte ihn nach unten, als der Bursche schoss.
    Ich sah nicht, ob ich rechtzeitig genug gehandelt hatte. Ich sah überhaupt nichts, denn ein wuchtiger Hieb schleuderte mich gegen die Metallwand. Im nächsten Abteil.
    Für zwei oder drei Sekunden konnte ich mich nicht bewegen und blieb benommen liegen, während der Waggon um mich herum schwankte und mir neue Übelkeit bescherte. Zwei Stöße gegen den Kopf kurz hintereinander ließen mir die Wahl zwischen Ohnmacht oder Rückwärtsfrühstücken, vielleicht sogar beides gleichzeitig. Die Erinnerung daran, dass man besser nicht auf dem Rücken liegend in Ohnmacht fallen sollte, sorgte dafür, dass ich herumrollte und auf Hände und Knie kam. Noch immer benommen und desorientiert, sah ich auf.
    Gerade rechtzeitig, um zu erkennen, wie sich das Gewehr auf meinen Kopf richtete.
    Ich starrte auf den Lauf, für den Bruchteil einer Sekunde, und versuchte zu springen. Aber mein Kopf war nicht klar genug, und selbst wenn er es gewesen wäre: Panik erschwerte das Springen. Und nichts brachte mich mehr in Panik, als in die Mündung einer Waffe zu schauen. Trotzdem unternahm ich einen zweiten Versuch, aber im gleichen Augenblick drückte der Bursche ab, und ich wusste, dass ich tot war.
    Doch aus irgendeinem Grund war ich es nicht, obgleich ein Schuss knallte und plötzlich der Geruch von Schießpulver in der Luft lag. Er teilte mir mit, dass ich nicht gesprungen war, aber wie sonst sollte mich der Schütze aus einer Entfernung von nur zwei Metern verfehlt haben? Und dann sah ich hoch und stieß mit dem Kopf gegen den Koffer, der noch immer in der Luft schwebte, obwohl ihm an der einen Ecke ein Stück fehlte.
    Ich wusste nicht, woher er kam, denn ich hatte ihn nicht mitgebracht. Aber ich stellte keine Fragen, packte das Ding und benutzte es als Schild, als Mircea auf der Bildfläche erschien und offenbar nicht mehr so auf Vorsicht bedacht war.
    Er riss dem Spartoi die Waffe aus der Hand und drückte zu - unter seinen Fingern gab das Metall wie Knetmasse nach. Der Blick des Halbgotts ging von seiner ruinierten Knarre zum

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