Verlockend untot
ich auf den Apparat und hoffte, dass im Nebenzimmer jemand abnahm, damit ich mich nicht heiter und froh geben musste. Doch dann erschien Marco in der Tür, mit einer Flasche Bier in der einen Hand und fünf Karten in der anderen.
»Wollen Sie rangehen oder nicht?«, fragte er eher neugierig als verärgert.
Ich nahm ab. »Hallo?«
»Warum bist du wach?«
Pritkins gereizt klingende Stimme ließ mich lächeln, und ich drehte mich um, damit Marco nichts davon sah. »Weil ich gerade einen Anruf entgegennehme.«
»Sehr komisch. Warum schläfst du nicht? Es ist nach eins.«
Ich sah erneut auf die Uhr. Offenbar hatte sie die jüngsten Ereignisse doch nicht so gut überstanden. »Es ist heiß.«
»Hier ist es immer verdammt heiß«, pflichtete er mir überraschen-derweise bei. Ich hatte ihn nie darüber klagen gehört, aber für jemanden, der ans Klima in England gewöhnt war, musste Vegas im August eine echt harte Nuss sein. Und er verdankte es mir, dass auch sein Schlafzimmer ein großes Loch hatte.
»Hast du was Kaltes zu trinken?«, fragte er.
»Bier.«
Pritkin schnaubte. »Morgen dürfte es dir auch so schon schlecht genug gehen. Ruf den Zimmerservice an.«
»Könnte ich machen«, sagte ich.
Er wartete. Ich sagte nichts, weil ich nicht erbärmlich klingen wollte. Es lag kein Notfall vor, und was sollte ich ihm groß erzählen?
Dass ich halb ausgeflippt war und mit jemandem reden wollte, der einen Puls hatte?
Ja, das hätte sehr reif geklungen, einer Pythia angemessen.
»Ist das der Magier?«, fragte Marco ungeduldig. Als ob er nicht jedes Wort gehört hätte.
»Ja.«
»Kommt er rüber?«
»Ja«, sagte Pritkin und überraschte mich erneut.
»Er soll Bier mitbringen«, brummte Marco. »Wir haben fast keins mehr, und der Zimmerservice in diesem Laden ist zum Kotzen.«
»Er hat gesagt…«
»Ich hab's gehört.« Pritkin legte ohne einen Gruß oder ein weiteres Wort auf. Ich wusste also nicht, warum ich lächelte, als ich in die Küche ging und mich vergewisserte, dass wir genug saubere Gläser hatten.
»Verdammt«, knurrte Marco. »Sie haben ihm nicht gesagt, welche Sorte. Wahrscheinlich kreuzt er hier mit englischem Bier auf.«
»Ale«, sagte einer der anderen Vampire finster.
»Mist.«
Sie setzten die Pokerrunde fort, während ich den Abwasch erledigte, denn: Meistervampire trugen zwar den Müll hinaus, aber beim Spülen war bei ihnen Schluss. Viel abzuwaschen gab es eigentlich nicht, denn meine letzten Mahlzeiten waren fast immer mit einem Servierwagen des Zimmerservice gekommen.
Anschließend versuchte ich erneut, mein zerzaustes, vom Zau-bergebräu grün gewordenes Haar mit einem Kamm in Ordnung zu bringen. Damit war ich noch immer beschäftigt, als es an der Tür klingelte. Ich gab auf, band das Haar zu einem Pferdeschwanz und kehrte in die Küche zurück. Pritkin war bereits da und packte zwei große braune Einkaufstüten aus.
»Foster's«, teilte er Marco mit, der einen argwöhnischen Blick in eine der Tüten warf.
Der Vamp wirkte erleichtert. »Es ist sogar kalt.«
»Warum sollte es das nicht sein?«
»Ich dachte, ihr Briten trinkt es gern warm.«
»Warmes Bier?«, fragte Pritkin angeekelt.
»Das erzählt man sich.«
»Nur weil wir es nicht halb vereist trinken, wodurch der wenige Geschmack verloren geht, den ihr in eurem Ami-Bier übrig gelassen habt?«
»Wir sind ein bisschen gereizt, wie?«, brummte Marco und schnappte sich ein Bier.
Ich sah in die andere Tüte, die jedoch nur einige Schachteln enthielt. Als ich eine hervorholte, stellte ich fest, dass es sich um Tee handelte. Das galt auch für den Rest: Pfefferminz, Kamille, grüner Tee, schwarzer Tee … Er schien den ganzen Laden leer geräumt zu haben.
»Du brauchst etwas, das deine Nerven beruhigt, ohne dich umzuhauen«, erklärte er mir.
»Ich glaube, Tee kommt da nicht infrage«, erwiderte ich. »Nicht bei mir.«
Eine blonde Augenbraue wanderte nach oben. »Du wirst dich wundern.«
Pritkin holte einen Kessel hervor, von dessen Existenz ich bis dahin gar nichts gewusst hatte, und stellte Tee-Dinge damit an. Ich nahm einen Apfel aus einer Schale und legte ihn auf den Tisch. »Du glaubst also, dass die Elfen dahinterstecken?«, erkundigte ich mich.
Ich hatte nicht viele Details mitbekommen, bevor ich weggetreten war.
»Ich weiß nicht, was dahintersteckt«, sagte Pritkin. Dieses Ge-ständnis schien ihm nicht leichtzufallen. »Die Elfen manifestieren sich nicht als Geister, aber dein Angreifer war körperlos. Und du
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