Verlockende Angst
entnervt auf und ließ den Kopf auf die Tastatur sinken. Sofort erfüllte ein schriller Warnton den ansonsten stillen Raum, aber ich achtete nicht darauf, bis mir ein genialer Gedanke kam. Und der hatte weder mit dem Apollyon noch mit dem Covenant oder Lucian zu tun.
Sondern mit Aiden.
Ich hob den Kopf, biss mir auf die Unterlippe und öffnete eine Internetseite. Seit einer Woche durchkämmte ich das Internet nach einem geeigneten Geburtstagsgeschenk für Aiden. Nicht nur zum Geburtstag, sondern auch als Friedensangebot. Ich wollte ihm etwas… keine Ahnung… Besonderes besorgen. Bisher war ich erfolglos geblieben, aber heute Abend kam mir eine Idee.
In jener Nacht in seinem Haus hatte ich eine unglaubliche Menge an Büchern, Comics und eine Sammlung bunter Gitarrenplektren gesehen. Ich hatte das für ein eigenartiges Sammelobjekt gehalten– aber wenigstens sammelte er nichts Ekliges wie Flusen aus seinem Bauchnabel. Jedenfalls wusste ich, dass er eine Farbe nicht hatte– Schwarz. Ich wollte jedoch kein billiges Plektron aus Plastik kaufen. Ich wollte– brauchte– etwas Besonderes.
Eine Stunde später stieß ich auf einen Online-Shop, der sich auf seltene Plektren spezialisiert hatte, und wusste, dass ich das perfekte Geschenk gefunden hatte. Dort gab es eins aus Onyx und anscheinend war es ein superbesonderes Gitarrenplektron. Keine Ahnung, warum. Um das Teil zu kaufen, musste ich mir allerdings etwas einfallen lassen. Aus irgendeinem Grund hatte man mir kein Bankkonto gegeben.
Am nächsten Tag fing ich Deacon vor dem Unterricht ab. » Kannst du etwas für mich tun? «
» Für meinen Lieblings-Halbie tue ich alles. « Er nickte mir zu und betrachtete Luke, der vor der Klasse stand und wild gestikulierte.
» Halbie? Egal. Vergiss es! Du hast doch Kreditkarten, oder? «
Er schnippte sich eine verwirrte Locke aus den Augen und lächelte. » Jede Menge. «
Ich hielt ihm ein Stück Papier vor die Nase. Darauf hatte ich den Namen der Website und die Artikelnummer des Plektrons gekritzelt. » Kannst du das für mich bestellen? Ich gebe es dir in bar wieder. «
Deacon warf einen Blick auf den Zettel, hob den Kopf und sah mich an. » Will ich wissen, was das ist? «
» Nööö. «
» Etwas für meinen Bruder, stimmt’s? «
Ich spürte, wie meine Wangen rot anliefen. » Ich dachte, du wolltest es nicht wissen. «
Er faltete den Zettel zusammen und steckte ihn kopfschüttelnd in die Tasche. » Will ich auch nicht. Ich bestelle es heute Abend. «
» Danke « , murmelte ich und fühlte mich bloßgestellt.
Ich starrte nach vorn, ohne tatsächlich zu sehen, was der Lehrer an die Tafel schrieb, und hoffte, dass sich Aiden über das Plektron freuen würde– dass er es lieben würde. Bei dem Gedanken an Liebe und Aiden in ein und demselben Satz krampften sich meine Muskeln zusammen.
Dass ich ihm ein blödes kleines Gitarrenplektron kaufte, bedeutete noch lange nichts. Und dass ich mich ihm am liebsten an den Hals geworfen hätte, hieß nicht, dass ich ihn… liebte. Halbblüter liebten keine Reinblüter. Woher war dieser Gedanke überhaupt gekommen?
Den Rest der Stunde beachtete ich Deacon nicht mehr und glitt in eine eigenartige Stimmung, die den ganzen Tag andauerte. Nicht einmal Calebs und Olivias rasend komisches Gezänk beim Mittagessen konnte mich herausreißen. Nicht einmal die Tatsache, dass Lea im Flur stolperte. Auch das Training bei Aiden konnte mich nicht aus dieser gedrückten Laune aufrütteln.
Aiden verfolgte jede meiner Bewegungen mit angespanntem, besorgtem Blick. Wahrscheinlich wartete er darauf, dass ich einschlief oder mir den Kopf anschlug.
Aber das passierte nicht.
Gegen Ende des Trainings wirkte seine Miene nicht mehr ganz so angespannt, und als er meine Sporttasche nahm, verzog sich sein Gesicht zu einem schiefen Grinsen. » Für morgen habe ich etwas anderes vor. «
» Erlässt du mir das Samstagstraining? « Das war nur teilweise als Scherz gemeint. Die Vorstellung, den ganzen Tag im Bett zu liegen, klang wirklich nett.
» Nein, daran hatte ich nicht gedacht. Ganz und gar nicht. «
Ich griff nach meiner Tasche, aber er hielt sie fest. Ich lächelte. » Woran hast du dann gedacht? «
» Das ist eine Überraschung. «
» Oh. « Jetzt wurde ich munter. » Was ist es? «
Aiden schmunzelte. » Wenn ich’s dir verrate, ist es keine Überraschung mehr. «
» Ich kann ja morgen so tun, als wäre ich überrascht. «
» Nein. « Wieder lachte er. » Das nähme dem Ganzen den Reiz.
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